Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
verzaubertes Leben voller Glück einzutreten. Aber ich erkannte, daß hier die Zeit und der Platz für Tränen fehlten. Hier gab es nur Arbeit, den Kampf ums Überleben. Vielleicht war das gar nicht schlecht für mich. Vielleicht würde ich stärker, kräftiger und robuster, und vielleicht konnte ich dann dem Bösen ins Gesicht sehen.
»Jemand muß diese Kartoffeln schälen«, sagte Annie Casteel und deutete auf einen Berg Kartoffeln, die auf dem Boden lagen.
»Das mache ich«, erbot ich mich freiwillig, obwohl ich es noch nie getan hatte. Sie sah mich skeptisch an, aber das bestärkte mich nur in meiner Entschlossenheit. »Wo ist der Kartoffelschäler?« fragte ich. Lukes Mutter lächelte. »Wir haben keine tollen Geräte, Angel. Nimm einfach dieses Taschenmesser da, und schneid nicht zuviel ab.«
Dann wandte sie sich um. »Luke, du wirst Angels Sachen jetzt hinter den Vorhang bringen.«
»Hinter den Vorhang? Aber wo werdet ihr schlafen, du und Pa?« fragte Luke mit einem besorgten Blick.
»Wir schlagen uns ein Lager auf dem Fußboden auf. Das ist kein Problem. Wir haben doch schon öfter auf Decken auf dem Boden geschlafen, stimmt’s, Pa?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Aber…«
»Jetzt fang bloß nicht an zu streiten, Luke. So wie ich dich kenne, wirst du gleich ein Baby wollen. Ich habe sogar den Verdacht, du hast vielleicht schon damit angefangen«, sagte sie und sah mich an, als sei es ihr möglich, mir die Schwangerschaft im Gesicht anzusehen. »Alle Casteels werden in Betten gezeugt«, fügte sie hinzu. »Ich hoffe und bete, daß es immer so bleiben wird.«
»Einverstanden, Ma.« Luke zog den Vorhang zurück, und dahinter stand ein breites Messingbett mit einer alten, durchgelegenen, fleckigen Matratze auf ausgeleierten Sprungfedern. Wie groß war doch der Unterschied zwischen diesem Bett und dem in dem billigen Motel, in dem wir die letzte Nacht geschlafen hatten, dachte ich. Aber es war unser erstes Ehebett. Wir mußten uns damit begnügen.
Zwei verschiedenere Welten als die von Farthinggale Manor und die der Casteels konnte es wohl nicht geben. Ich hatte mich entschlossen, von Farthy fortzulaufen, und ich hatte mich gleich so weit davon entfernt, daß es schien, als existierten meine Mutter und Tony und alles, was ich zurückgelassen hatte, auf einem fernen Planeten in einem anderen Sonnensystem. Ich war schockiert und fürchtete mich, aber ich war entschlossen, nicht umzukehren.
Trotz ihrer rauhen Art, ihrer derben Ausdrucksweise und ihrer kritischen Blicke stellte ich fest, daß man sich mühelos mit Annie Casteel unterhalten konnte. Sie hörte wirklich zu, wenn ich etwas sagte, und sie lauschte mit Interesse und einem Ausdruck des Erstaunens auf dem Gesicht, als ich ihr meine Lebensgeschichte erzählte. Natürlich sagte ich ihr nicht, daß Tony mich vergewaltigt hatte. Luke wollte, daß ich das Geheimnis meiner Schwangerschaft vor seinen eigenen Eltern bewahrte. Annie wollte wissen, warum ich fortgelaufen war, und ich erklärte, daß der neue Ehemann meiner Mutter Annäherungsversuche unternommen hatte und daß meine Mutter mir die Schuld daran gegeben hatte.
»Ohne einen Daddy, der sich um mich kümmert, und mit einer Mutter, die mir nicht glaubt, habe ich mich so einsam und allein gefühlt, daß ich beschlossen habe, fortzulaufen. Ich war auf dem Weg zu meiner Großmutter, als ich Luke getroffen und mich in ihn verliebt habe«, erklärte ich. Sie nickte und reichte mir die Karotten zum Abschaben und waschen. Als ich ihr aber von den Puppen und von Angel erzählte, bestand sie darauf, daß ich die Arbeit augenblicklich niederlegen und Angel aus meinem Koffer hole, damit sie endlich einmal etwas so Schönes und Kostbares zu sehen bekam. Ihre Augen strahlten vor Freude.
»Als ich ein kleines Mädchen war, mußte mir mein Pa eine Puppe aus einem dicken Ast schnitzen. Ich habe nie etwas Zartes und Reizvolles besessen, und so was habe ich noch nie gesehen, auch nicht unten in Winnerrow in den Schaufensterauslagen. Und als ich dann verheiratet war, hatte ich keinen Grund, eine Puppe zu kaufen, weil ich sechs Jungen und kein Mädchen bekommen habe. Nach einer Weile habe ich den Versuch aufgegeben, ein Mädchen zu bekommen. Ich hoffe, wenn ihr ein Baby kriegt, du und Luke, wird es ein Mädchen«, sagte sie, und ich merkte, daß diese derbe, harte Frau so sanft und zart wie jede andere Frau sein konnte. Es tat mir leid für sie, daß ihr Leben so schwer war.
»Das hoffe ich auch, Mrs.
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