Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
gedauert, bis ihr das gereicht hat. Sie hat sich darüber beklagt, welche Wirkung die kalte Luft auf ihre Haut hat, und ich bin dahintergekommen, daß es ihr verhaßt ist, zu schwitzen. Soviel zu Flitterwochen in einem Wintersportparadies. Oder zu jeder Form von Sport, wenn wir schon dabei sind«, fügte er grinsend hinzu.
»Aber ihr müßt doch in ausgezeichneten Restaurants gewesen sein«, sagte ich. Ich wußte, daß Mama sich darauf gefreut hatte.
»Ja, schon, aber deine Mutter ißt wie ein Spatz. Es war die reine Verschwendung, ihr eine komplette Mahlzeit zu bestellen, denn sie ißt noch nicht einmal eine Kinderportion. Zum Schluß habe ich dann jeden Abend ihr Essen und mein eigenes gegessen. Zum Glück habe ich ja viel Sport getrieben, immerhin«, sagte er. Er lehnte sich zurück und klopfte sich auf den Bauch.
»Nein, du siehst wirklich… du siehst gut aus«, sagte ich. Fast hätte ich gesagt »wunderbar«.
»Danke. Jedenfalls war das die Geschichte unseres Winterurlaubs und unserer Flitterwochen«, schloß er enttäuscht.
Der Kellner brachte uns das Brot und die Salate. Mir war gar nicht klargewesen, wie hungrig ich war, bis das Essen auf dem Tisch stand. Das gemütliche Restaurant, Tonys lockere Erzählungen über Mama und die Flitterwochen und dazu noch das köstliche Essen – all das wirkte beruhigend auf mich. Zum ersten Mal, seit ich erfahren hatte, daß Troy so krank war, entspannte ich mich ein wenig.
Wir redeten noch über Europa, und ich erzählte ihm von unseren Reisen nach London. Dann beschrieb ich ihm ganz genau, was ich alles getan hatte, während er und Mama fort gewesen waren. Mir war gar nicht bewußt, wieviel und wie lange ich geredet hatte, denn er hörte mir aufmerksam zu und sah mich gebannt an.
»Oh, es tut mir leid, daß ich soviel rede. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist.«
»Mir ist das recht. Es gefällt mir. Soviel hast du nicht mit mir geredet, seit… seit wir uns kennengelernt haben.«
Leicht verlegen wandte ich den Blick ab.
»Du siehst sehr hübsch aus«, sagte er zu mir. »Als hättest du viel Zeit im Freien verbracht.«
»Danke.« Ich war machtlos gegen mein Erröten. Ich hatte es noch nicht gelernt, Komplimente so gelassen entgegenzunehmen, wie Mama das tat. Sie rechnete ohnehin schon immer im voraus damit. Für mich kamen sie nach wie vor unerwartet, und jedes Kompliment war etwas ganz Besonderes, vor allem, wenn es von einem so gutaussehenden Mann wie Tony Tatterton kam. Er hatte eine Art, diese Dinge so aufrichtig klingen zu lassen. Mir wurde davon immer ganz warm, und ich spürte dieses Prickeln. Dann fühlte ich mich schuldbewußt, weil ich es mir so gutgehen ließ, während der kleine Troy schwerkrank im Krankenhaus lag.
»Sollten wir jetzt nicht lieber zurückgehen?« fragte ich. Er sah mich immer noch mit diesem durchdringenden und direkten Blick an.
»Was? Ach, ja.« Er winkte den Kellner zu sich.
Als wir im Krankenhaus eintrafen, begab er sich sofort in Troys Zimmer, während ich im Korridor wartete. Bald darauf tauchte er zusammen mit dem Arzt wieder auf, und Tony bedeutete mir, zu ihnen zu kommen.
»Das Fieber sinkt«, erklärte er freudig. »Und das Atmen fällt ihm jetzt schon weit weniger schwer. Er wird gesund werden.«
Ich war so erleichtert, daß ich in Tränen ausbrach. Er und der Arzt sahen sich an und lachten, und dann umarmte Tony mich.
»Danke, Leigh«, flüsterte er, »es freut mich sehr, daß du dir soviel aus ihm machst.« Er küßte mich auf die Stirn, und ich sah in seine blauen Augen auf, und in meinem Kopf ging alles wirr durcheinander. So schnell hatte ich mir eine komplette neue Familie angeeignet. Immer dann, wenn ich mich wohl fühlte, vor allem in Tonys Gegenwart, meinte ich, einen Verrat an Daddy zu begehen, und doch schien Tony liebevoll, besorgt und aufmerksam zu sein. Er und ich waren durch Mamas Launen unfreiwillig zusammengekommen, und vielleicht bemühte er sich ebensosehr wie ich, sich an die neue Situation zu gewöhnen und seine Gefühle zu ordnen. Ich entspannte mich in seinen Armen und legte meinen Kopf an seine Schulter. Ich kann ihn nicht hassen, dachte ich. Verzeih mir, Daddy, aber ich kann ihn nicht hassen.
»Möchtest du zu ihm gehen, Leigh?« fragte Tony. »Er ist nicht wach, aber du kannst dich einen Moment lang in die Tür stellen und ihn ansehen.«
»Ja. Danke.«
Tony öffnete die Tür, und ich warf einen Blick auf den kleinen Troy, der noch winziger aussah als heute morgen. Das
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