Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
lassen.«
Wie konnte sie in einem solchen Moment so unbeteiligt sein und nur an sich selbst denken? War sie immer so egoistisch? Und warum waren ihre Flitterwochen so anstrengend gewesen? Sollte das denn nicht die wunderbarste Zeit im ganzen Leben sein, insbesondere, wenn man in einem so luxuriösen Hotel abstieg? Dort konnten sie doch alles tun, was Spaß machte, und sie konnten Tag und Nacht ungestört zusammen sein und romantische Mahlzeiten bei Kerzenlicht und Musik einnehmen.
Wie konnte sie Tony im Krankenhaus allein lassen, auch wenn sie noch so müde war? Selbst wenn ich zutiefst verabscheute, daß er in mein Leben getreten war, hatte ich doch seinen kleinen Bruder schnell ins Herz geschlossen. Und Troy war jetzt für Mama fast so etwas wie ein Stiefsohn. Tony war sicherlich sehr unruhig und besorgt. War das nicht ein Moment, in dem eine Frau an die Seite ihres Mannes gehörte, um ihn zu trösten und ihm eine Stütze zu sein? Aber sie hatte nur Angst um ihren Schönheitsschlaf. Vielleicht war diese Ehe auch nicht besser als die mit Daddy, denn auch diese neue Ehe war auf einer Lüge aufgebaut.
Ich ging in mein Zimmer, setzte mich auf mein Bett und sah mir das kleine Pferd an, das Troy mir zu Weihnachten getöpfert hatte. Ganz gleich, wie reich wir sind, ganz gleich, für wie schön oder wie mächtig wir uns halten, in Wirklichkeit sind wir alle ganz genauso zart und zerbrechlich wie diese kleine Keramik, dachte ich. Ich preßte das Pferdchen fest an mich und sprach ein stummes Gebet.
Ich schlief ein, und als ich aufwachte, war es schon sechs Uhr vorbei. Das Zwielicht ließ mein Schlafzimmer unfreundlich erscheinen und füllte es mit tiefen Schatten. Ich fröstelte, als sei ein Winterwind in das große Haus vorgedrungen und hätte sich einen Weg direkt in mein Schlafzimmer gebahnt. Er schlang sich um mich wie eine Decke, in die Eisfäden eingewebt waren. Ich umklammerte mit den Händen meine Schultern. Es erschien mir wie ein böses Omen.
Troy, dachte ich und sprang eilig vom Bett. Im Korridor war es finster und still. Mein Herz schlug heftiger. Eine gedämpfte Stille hatte sich über das Haus gelegt, als sei es von jeder Menschenseele verlassen und nur noch von Geistern bewohnt.
Ich fürchtete das Schlimmste, als ich wie eine Schlafwandlerin durch den Korridor zu Mamas Suite schlich und an der Tür horchte. Auch hier war nichts zu hören. Ich öffnete die Tür zum Flur und lief auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer, um in Mamas Schlafzimmer zu schauen.
Sie lag noch im Bett und schlief tief und fest. Sie war mit einer Decke zugedeckt, und ihr goldblondes Haar war gelöst und hatte sich auf einem großen, flauschigen Kissen ausgebreitet. Der Fußboden war mit Päckchen und Paketen bedeckt. Ihr neuer Zobelmantel, die Zobelmütze, die Skihose und ihre Stiefel lagen noch so da, wie sie die Sachen hatte fallen lassen, als sie sich ausgekleidet hatte.
In den Räumen im Erdgeschoß fand ich keinen Menschen. Schließlich fand ich in der Küche sämtliche Dienstboten vor, die dort um einen Tisch versammelt waren und leise miteinander redeten. Sie drehten sich zu mir um, als ich eintrat. In allen Gesichtern stand dasselbe – Unruhe, Ernst und große Sorge.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?« fragte ich und hatte Angst vor der Antwort.
»Ach, du meine Güte«, stöhnte Mrs. Hastings. »Mr. Tatterton hat vor gut einer Stunde angerufen, um zu sagen, daß Troys Fieber noch mehr gestiegen ist. Sein Atem geht sehr schwer. Sein Zustand ist äußerst kritisch.«
Alle starrten mich an und warteten auf meine Reaktion.
»Ich möchte ins Krankenhaus fahren, Miles«, sagte ich. »Würden Sie mich hinbringen?«
Er sah von Rye zu Mrs. Hastings und dann zu den anderen Hausangestellten, weil er nicht wußte, wie er auf meine Bitte reagieren sollte.
»Ihrer Mutter wäre es vielleicht nicht recht, wenn Sie hinfahren«, sagte er schließlich.
»Meine Mutter«, erwiderte ich und betonte das Wort barsch, »schläft. Ich bin in fünf Minuten fertig. Fahren Sie den Wagen bitte schon vor«, ordnete ich gebieterisch an und ging, ehe es zu weiteren Diskussionen kommen konnte.
Ich fand Tony im Wartezimmer des allgemeinen Krankenhauses von Boston vor, als er gerade mit einer Krankenschwester sprach. Er hatte seinen langen Kaschmirmantel über dem Arm hängen. Dieses eine Mal verspürte ich keinen Zorn, keinen Haß und keine Ablehnung – all meine Gefühle galten im Moment nur Troy.
»Leigh!« rief er, als sein Blick auf
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