Castello Christo
dass sie im Wohnzimmer Platz genommen hatten, sah er Alicia an. Er gab sich keinerlei Mühe, freundlich zu wirken.
»Hast du von dem Artikel gewusst?«
Sie hob die Schultern und sagte: »Ja. Ich habe dir gestern gesagt, dass in der heutigen Ausgabe ein Artikel erscheint, der dir nicht gefallen wird. Erinnerst du dich?«
»Der mir nicht gefallen wird?«, fuhr Varotto sie an. »Man bezeichnet mich als unfähigen, psychisch labilen Menschen. Mit vollem Namen. Ich muss wohl noch dankbar sein, dass ihr nicht auch noch meine Telefonnummer angegeben habt, damit die Leute mich gleich selbst beschimpfen können. Das hat nichts mit einem Artikel zu tun,
der mir nicht gefallen wird
, meine Liebe. Das ist Rufmord!«
»Commissario, lassen Sie uns doch . . .«, wollte Matthiasihn beschwichtigen, doch Varotto brachte ihn mit einem zornigen Blick zum Schweigen.
»Es reicht wohl noch nicht, dass ich meine Frau verloren habe. Jetzt bin ich auch noch meinen Job los. Vielen Dank!«
Schnaubend ließ er sich in den Sessel fallen und starrte vor sich hin wie ein trotziges Kind.
Alicia wartete eine Weile, bevor sie in ruhigem, aber bestimmtem Ton antwortete. »Daniele, ich kann gut verstehen, dass du stinkwütend bist, aber du musst mir glauben, ich habe nicht gewusst, was der Chefredakteur schreibt. Dass sie diese Geschichte mit deiner Krankheit machen würden, habe ich nicht gewusst und ich möchte wetten, dass Azzani das gestern Nachmittag selbst noch nicht wusste. Er hätte es mir gesagt, da bin ich sicher. Irgendetwas muss da passiert sein. Wahrscheinlich eine politische Geschichte. Ich werde versuchen, das herauszubekommen. Aber was auch immer es war – ich habe nichts davon gewusst, und ich hoffe sehr, dass du mir glaubst.« Alicias Stimme wurde leiser. »Ich weiß, wie sehr dich das quält, Daniele, aber es war nicht nur deine Frau, die gestorben ist. Ich habe auch meine beste Freundin verloren.«
Lange sagten sie nichts mehr. Alicia und Varotto saßen einfach nur da; jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Matthias betrachtete sie abwechselnd. Er überlegte, wie er das Gespräch am sinnvollsten wieder in Gang bringen konnte, als Varotto unvermittelt sagte: »Nun erzählen Sie mir endlich, was Sie herausgefunden haben. Ich bin zwar beurlaubt, aber trotzdem noch Commissario. Also . . .?«
Matthias nickte erleichtert und bemerkte dabei aus den Augenwinkeln, dass auch Alicia ihn ansah. Beginnend mit Alicias Idee, sich die Zeitung vom 4. März 1981 anzusehen,erzählte er dem Commissario von ihrer Suche und davon, wie sie schon aufgegeben hatten und ihm nur durch Alicias resignierten Ausspruch über die Sternenkonstellation die Verbindung aufgefallen war. Varotto hörte gebannt zu. Als Matthias erklärte, was seiner Meinung nach die Tätowierung zu bedeuten hatte, zog er die Brauen hoch und formte mit dem Mund ein lautloses »Oh«, hörte aber weiter zu und unterbrach ihn kein einziges Mal, bis zu der Stelle, an der Matthias sagte: »Deshalb glaube ich, dass jemand schon lange vor diesem 4. März 1981 davon überzeugt war, dass sich an dem Tag die Geschichte wiederholt und Gott seinen Sohn ein zweites Mal auf die Erde schickt. Und . . .«
Abrupt hob Varotto die Hand. »Moment!« Traurigkeit und Schmerz waren aus seinem Gesicht gewichen und hatten Ärger Platz gemacht. »Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass Gott seinen zweiten Sohn auf die Erde geschickt hat, weil zwei Planeten unseres Sonnensystems sich ein wenig näher gekommen sind? Entschuldigen Sie, aber ... sind Sie nicht ganz bei Trost?«
Matthias runzelte die Stirn, schluckte die Beleidigung aber hinunter. »Sie sollten mir besser zuhören, Commissario Varotto. Ich sprach nicht von seinem
zweiten
Sohn, sondern davon, dass er seinen Sohn
wieder
auf die Erde geschickt hat. Und zweitens – und das ist der wirklich bedeutende Unterschied – war keine Rede davon, dass
ich
glaube, dass Gottes Sohn wiedergeboren wurde. Ich sprach davon, dass
irgendwer
das glaubt.« Er wartete, ob Varotto dazu etwas sagen wollte. Als der ihn nur weiter ansah, fuhr er fort. »Es gibt dabei aber auch noch vieles, das ich nicht verstehe. Wir müssen es noch genau prüfen, aber offensichtlich wurden nur italienische Kinder entführt. Warum? Wohin sind diese entführten Jungen damals gebrachtworden? Wo sind sie aufgewachsen? Warum werden gerade jetzt diese mittlerweile erwachsenen Jungen umgebracht? Wir haben meines Wissens weder ein aus religiöser Sicht besonders
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