Castello Christo
kommen, in dem ich auf Sie warte.«
Niccolò Gatto. Leben und Tod.
»Gut, ich komme.«
Sosehr ihn die Bitte auch wunderte, machte sich das Oberhaupt der katholischen Kirche doch zehn Minuten später auf den Weg in den Keller des Apostolischen Palastes. Er ging alleine.
Rom. Porta San Paolo
54
Commissario Francesco Tissone war vor dem Torbogen stehen geblieben und betrachtete den langhaarigen jungen Mann, der mit verrenkten Gliedern mit dem Gesicht nach unten am Boden lag. Er war offensichtlich von dem etwa zehn Meter hohen Mittelteil derPorta San Paolo gestoßen worden. Zwischen seinen Schulterblättern lag ein kleines Holzkreuz. Die siebte Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz, dachte Tissone und war dabei fast erleichtert, dass er keine der Szenen vorgefunden hatte, bei denen die Opfer wie ausgestopfte Tiere präpariert worden waren.
Die Szene wurde von den Scheinwerfern zweier Polizeifahrzeuge angestrahlt. Sicher würden bald auch die Kollegen der Spurensicherung eintreffen und ihre Scheinwerfer aufbauen. Mehrere Beamte der
Polizia di Sicurezza
hatten den Tatort von allen Seiten weiträumig abgesperrt. Auch die direkt daneben aufragende Cestius-Pyramide, das Grabmal des im Jahre 12 v. Chr. gestorbenen römischen Volkstribuns Caius Cestius Epulo, lag in dem abgesperrten Gebiet.
»Guten Morgen, Commissario Tissone«, sagte einer der Polizisten, ein sehr junger Mann mit fast weiblich anmutenden weichen Gesichtszügen. Er zeigte auf den Toten. »Er ist von einem Taxifahrer gefunden worden, der gerade von einem Kollegen vernommen wird. Treten Sie näher, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Widerwillig sah Tissone dem jungen Beamten, der vor dem Toten in die Hocke gegangen war, über die Schulter.
»Sehen Sie, hier.«
Tissone beugte sich ein Stück nach vorne, konnte aber nichts sehen, weil sein eigener Schatten die Stelle verdunkelte. Er ging um den Toten herum und bückte sich. In den winzigen Querbalken des Kreuzes war etwas eingeritzt. Mit einem kurzen Blick auf den jungen Mann richtete er sich wieder auf.
»Konnten Sie entziffern, was dort steht?«
»Nein, es ist zu klein. Ich wollte nichts verändern, bis Sie . . .«
»Haben Sie einen Handschuh?«, unterbrach ihn Tissone und hoffte, dass er keinen Fehler machte, den ihm die Kollegen von der Spurensicherung später vorhalten würden.
Der Polizist reichte Tissone einen der dünnen Latexhandschuhe. Der Commissario streifte ihn über die rechte Hand.
So gerüstet packte er das kleine Kreuz vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger an den Enden des Längsbalkens und ging damit zu den Polizeiwagen. Vor einem der Scheinwerfer bückte er sich und drehte das Kreuz so, dass die Schrift voll angestrahlt wurde.
Die Buchstaben und Zahlen waren ungleichmäßig, offensichtlich waren sie mit einer Nadel oder Ähnlichem von Hand in das Holz geritzt worden. Für einen Moment setzte sein Herzschlag aus:
D. Varotto † 20. 10. 2005
»Konnten Sie es entziffern, Commissario?«, wollte der junge Polizist wissen, der ihm neugierig nachgegangen war.
Tissone starrte auf die Inschrift. Er war zu keiner Regung fähig.
»Commissario?«, fragte der Beamte beunruhigt. »Was steht da?«
Endlich schaffte es Tissone, den Blick von dem Namen abzuwenden. Seine Gedanken rasten.
»Was ... welches Datum ist heute?«, fragte er den Mann benommen.
»Der 20. Oktober, Commissario.«
Tissone erhob sich und hielt ihm das Kreuz entgegen, woraufhin der Mann entsetzt zurückwich. »Aber Commissario, ich habe keine Handschuhe an. Wenn nun . . .«
»Auf diesen Kreuzen waren noch nie Fingerabdrücke.«
Mit einem Mal schien sein Gehirn wieder zu funktionieren.Er musste sofort Daniele anrufen und ihn warnen. Nachdem der Polizist noch immer keine Anstalten machte, das Kreuz an sich zu nehmen, steckte Tissone es kurzerhand in die Jackentasche, zog sein Handy heraus und drückte die Wahlwiederholungstaste. Seine Hand zitterte. Nach nur dreimaligem Klingeln sprang die Mailbox an.
Langsam ließ Tissone das Telefon sinken. Er überlegte fieberhaft. Daniele konnte das Mobiltelefon ausgeschaltet haben, um nicht gestört zu werden. Möglich war auch, dass er vergessen hatte, den Akku zu laden, was ihm schon öfter passiert war. Oder aber ... Hektisch wählte Tissone eine andere Nummer. Es dauerte einige Zeit, bis abgehoben wurde.
»Chef, hier ist Francesco.«
»Was gibt es?« Sofort bekam die Stimme den gewohnt festen Klang. Pasquale Barberi wusste, dass seine
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