Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
für die diese Gottes-Geschöpfe eines Tages nur noch Wesen aus Erzählungen sein würden. Die Augen, so wollte sie es ihnen hinterlassen, waren ein Schlüssel in eine andere Welt. Durch diese Augen hindurch sah man das Leben in voller Pracht und man erblickte in ihnen vollkommenen Frieden.
»Ringt Ihr um Worte, Eure Hoheit?«, fragte Alya beinahe vorsichtig, um die Königin nicht zu stören.
Lordas nickte lächelnd. »Ich versuche, den Glanz in Euren Augen zu beschreiben. Jedoch gibt es kein Wort für das Gefühl, das sie in einem wecken.«
Alya nahm ihr die Feder aus der Hand und legte sie beiseite. Daraufhin ergriff sie die Hände der Königin und führte sie zu einem Fenster. »Seht Ihr die Natur und das viele Grün?«
Sie sah es. Bis zum Horizont erstreckten sich das Gras und die Bäume. Immer wieder entdeckte sie einige Farbtupfer. Blüten in allen erdenklichen Farben. Es war, als hätte ein Maler diese Landschaft gezeichnet. Sie war unberührt und voller Leben. Kaum vorstellbar, wie sehr dieser Anblick dem von Alyas Augen glich.
»Erst, wenn wir etwas bewusst ansehen, erkennen wir die Schönheit, die unter der Oberfläche verborgen liegt. Das Leuchten in unseren Augen liegt auch in euren. Vertraut mir, Eure Hoheit. Ihr müsst nur genau hinsehen.« Lächelnd sah Alya in die Augen Lordas’ und strich ihr vorsichtig ein Haar aus dem Gesicht. »Die vielen Grüntöne in der Natur kann man nicht genau beschreiben, man muss sie erst gesehen haben, um sich der Vielfalt bewusst zu werden.«
Der Blick der Königin schweifte erneut aus dem Fenster. Sie erkannte die Wahrheit in den Worten des Kindes Splendors. »Ich verstehe«, erwiderte sie erleichtert.
Mit neuem Schwung setzte sich die Königin erneut an ihren Schreibtisch und vollendete ihre letzten Zeilen. Winkend rief sie einen Bediensteten bei, dem sie auftrug, die Pergamentrolle in die Bücherkammer zu bringen und ihr einen geeigneten Platz zu suchen. Kaum hatte dieser das Gemach der Königin verlassen, bedankte sie sich aufrichtig bei Alya. »Ihr seid geistreich. Vielen Dank für die mir fehlenden Worte.« Mit einer Verbeugung brachte das Kind Splendors ihr ein Lächeln entgegen. Das reichte der Königin vollkommen. Sie erkannte darin die Freude, die Alya daran hatte, anderen behilflich zu sein. Sie war aufopfernd und beklagte sich nie. Oft half das Kind Splendors den Kammerdienern beim Herrichten der königlichen Gemächer und ebenso den Köchen bei der Zubereitung königlicher Mahlzeiten. Zudem schlenderte sie viel im Garten des Schlosses umher. Er war traumhaft schön und Alya schien jeden Schritt, den sie dort tat, zu genießen. Sie scheute sich auch nicht, den Gärtnern zur Hand zu gehen, bückte sich oft, um einen abgestorbenen Ast auf dem Weg oder eine verwelkte Blüte, die ins Gras gefallen war, aufzuheben. Dabei hatte sie all das nicht nötig. Sie war der Ehrengast der Königin und jeder im Schloss hatte die Aufgabe, ihr ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Dennoch schien es in ihrer Natur zu liegen, anderen etwas Arbeit abzunehmen, oder ihnen kleine Freuden zu bereiten.
»Ein Lächeln zu verschenken ist weitaus erfüllender als eine Handvoll Gold«, sagte sie einst zu Pergo, dem Ratgeber der Königin, der wie so oft nur von Steuern gesprochen hatte. Er hatte abgewunken und sie um Ruhe gebeten, doch Lordas hatte ihre Worte gehört und verstanden. Pergos’ Aufforderung einer Steuererhörung war sie daher auch nicht nachgekommen.
Die gute Laune in ihren Gemäuern tat der Königin gut. Sie fühlte sich so frisch und jung wie zuletzt vor zwanzig Jahren. Sie hatte aufgehört, nur an sich zu denken und fragte sich oft, wie es ihrem Volk erging. Lordas hatte begonnen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und wollte alles Erdenkliche dafür tun, um ihre Untertanen in dem bevorstehenden Krieg so gut wie möglich zu schützen.
»Dieser Runde durften seit Tausenden von Jahren nur Gewählte beiwohnen«, warf einer ihrer Krieger ein. Die Tafel im Speisesaal war wieder einmal gefüllt von Kriegern und Ratgebern. Ein Jeder der Höchste seines Ranges und Ordens. Die Gastfreundschaft gegenüber des Kindes Splendors ließ jedoch zu wünschen übrig. Sie stand neben dem Stuhl der Königin und blickte enttäuscht auf den Mann, der diese Worte gesprochen hatte. Er stand auf und forderte lauthals, dass Alya den Raum verlassen sollte. Es dauerte nur einige Augenblicke bis auch drei andere danach verlangten und mit ihrem Fortgehen drohten. Der
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