Catch 22
sein. Er arbeitet nämlich überhaupt nicht. Er spielt. Oder er hat uns vergessen. Jedenfalls der Gott, von dem Leute wie du reden — der ist ein Bauerntölpel, ein ungeschickter, tolpatschiger, hirnloser, arroganter, ungeschliffener Jockei. Lieber Himmel, kann man denn Ehrfurcht vor einem höchsten Wesen empfinden, das es für nötig hält, Dinge wie eine verschleimte Kehle und Zahnverfall in Seine göttliche Schöpfung aufzunehmen? Was ging denn eigentlich in jenem verbildeten, bösartigen, verstopften Hirn vor, als Er die alten Leute der Fähigkeit beraubte, die Schließmuskeln zu kontrollieren? Warum, zum Teufel, hat Er überhaupt den Schmerz geschaffen?«
»Schmerz?« Leutnant Schittkopps Frau stürzte sich triumphierend auf dieses Wort. »Der Schmerz ist ein sehr nützliches Symptom. Der Schmerz warnt uns vor Gefahren, die dem Körper drohen.«
»Und wer hat diese Gefahren geschaffen?« verlangte Yossarián zu wissen. Er lachte höhnisch. »O ja, Er war wirklich barmherzig, als Er uns mit dem Schmerz beschenkt hat! Warum konnte Er sich zu unserer Warnung nicht einer Klingel bedienen oder eines Seiner himmlischen Chöre? Oder auch eines Systems von blauen und roten Neonleuchten, die alle Menschen mitten auf der Stirn tragen? Jeder Fabrikant von Musikautomaten, der sein Geld wert ist, hätte sich das ausdenken können. Warum also nicht Er?«
»Die Menschen würden recht blöde aussehen, wenn sie mit roten Neonleuchten auf der Stirn herumliefen.«
»Sehen sie denn schön aus, wenn sie sich in Schmerzen winden oder von Morphium betäubt daliegen? Was für ein kolossaler, unsterblicher Pfuscher! Denk doch nur, welche Gelegenheit und welche Macht Er hatte, etwas wirklich Herrliches zu schaffen, und sieh nur, was für einen stupiden, häßlichen Brei Er statt dessen angerührt hat. Seine Unfähigkeit ist geradezu erschütternd. Es liegt auf der Hand, daß Er nie Löhne zu zahlen gehabt hat. Kein Geschäftsmann mit Selbstachtung würde einen Pfuscher wie Ihn je einstellen, nicht einmal als Adressenschreiber!«
Leutnant Schittkopps Frau war wachsbleich geworden und starrte Yossarián erschreckt und ungläubig an. »Rede lieber nicht so von Ihm, Schatz«, tadelte sie ihn leise und feindselig. »Er bestraft dich vielleicht dafür.«
»Straft Er mich denn nicht schon genug?« schnaufte Yossarián wütend. »Man darf Ihm das einfach nicht durchgehen lassen.
Nein, man darf Ihm nicht all den Kummer durchgehen lassen, den Er über uns gebracht hat. Eines Tages soll Er mir dafür zahlen. Ich weiß auch schon wann. Am Tage des Jüngsten Gerichtes.
Jawohl, das ist der Tag, an dem ich Ihm endlich so nahe kommen werde, daß ich diesen kleinen Jockei beim Schlips packen und...«
»Hör auf! Hör auf!« kreischte Leutnant Schittkopps Frau plötzlich und hämmerte, ohne Schaden anzurichten, mit beiden Fäusten auf Yossariáns Kopf los. »Hör auf!«
Yossarián ging hinter seinem Arm in Deckung und ließ sie noch einige Sekunden ihre weibliche Wut an ihm austoben, dann packte er entschlossen ihre Handgelenke und zwang sie aufs Bett.
»Worüber regst du dich eigentlich so auf, zum Teufel?« fragte er verwundert und reuig amüsiert. »Ich dachte, du glaubtest nicht an Gott.«
»Tu ich auch nicht«, schluchzte sie und brach heftig in Tränen aus. »Aber der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein gütiger Gott, ein gerechter Gott, ein barmherziger Gott. Er ist nicht der gemeine und törichte Gott, als den du ihn hinstellst.«
Yossarián lachte und ließ sie los. »Wir wollen doch vielleicht ein wenig mehr Toleranz in religiösen Dingen üben«, schlug er hilfsbereit vor. »Du brauchst nicht an den Gott zu glauben, der dir paßt, und ich brauche nicht an den Gott zu glauben, der mir paßt.
Einverstanden?«
Das war das verdrehteste Thanksgiving, an das er sich erinnern konnte, und seine Gedanken kehrten sehnsüchtig zum Vorjahr, zu der heiteren, vierzehntägigen Quarantäne im Lazarett zurück. Doch selbst jenes Idyll hatte mit einem tragischen Ausklang geendet; als die Quarantäne aufgehoben wurde, war Yossarián immer noch kerngesund, und man hatte ihm gesagt, daß er das Lazarett verlassen und in den Krieg ziehen müsse. Als er diese schlechte Nachricht empfing, richtete Yossarián sich im Bett auf und rief: »Ich sehe alles zweimal.«
Wiederum brach auf der Station ein Höllenlärm aus. Die Spezialisten kamen aus allen Richtungen gerannt und rückten ihm so dicht auf den Leib, daß er mit Widerwillen den feuchten Atem
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