Catch 22
hier ist Pa. Sag Papa guten Tag.«
»Guten Tag, Papa«, sagte Yossarián.
»Guten Tag, Giuseppe.«
»Er heißt aber Yossarián, Pa.«
»Ich kann mich gar nicht beruhigen, so schrecklich sieht er aus«, sagte der Vater.
»Er ist schwer krank, Pa. Der Arzt sagt, er muß sterben.«
»Ich weiß nicht, soll ich dem Arzt glauben oder nicht«, sagte der Vater. »Ich weiß nur zu gut, was das für Betrüger sind.«
»Giuseppe«, sagte die Mutter wieder in dem sanften gebrochenen Ton unterdrückten Kummers.
»Er heißt Yossarián, Ma. Mama kann sich nicht mehr gut was merken. Wie behandeln sie dich denn hier, Junge? Behandeln sie dich anständig?«
»Sie behandeln mich anständig«, sagte Yossarián.
»Na, das ist schön. Laß dir bloß von keinem was gefallen. Du bist genauso gut wie jeder andere, auch wenn du Italiener bist.
Auch du hast deine Rechte.«
Yossarián zuckte zusammen und schloß die Augen, um seinen Bruder John nicht ansehen zu müssen. Es wurde ihm übel.
»Sieh mal, wie schrecklich er jetzt aussieht«, bemerkte der Vater.
»Giuseppe«, sagte die Mutter.
»Er heißt doch Yossarián, Ma«, unterbrach der Bruder ungeduldig, »kannst du dir das nicht merken?«
»Es macht ja nichts«, fiel Yossarián ein. »Sie kann mich gerne Giuseppe nennen.«
»Giuseppe«, sagte sie zu ihm.
»Mach dir keine Sorgen, Yossarián«, sagte der Bruder, »es wird schon alles gut werden.«
»Mach dir keine Sorgen, Ma«, sagte Yossarián, »es wird schon alles gut werden.«
»War ein Priester bei dir?« wollte der Bruder wissen.
»Ja«, log Yossarián und zuckte wieder zusammen.
»Sehr schön«, entschied der Bruder. »Hauptsache ist, du bekommst alles, was dir zusteht. Wir haben den weiten Weg von New York her gemacht. Wir hatten Angst, wir würden nicht rechtzeitig kommen.«
»Rechtzeitig wofür?«
»Dich zu sehen, ehe du stirbst.«
»Ist das denn nicht einerlei?«
»Wir wollen nicht, daß du alleine stirbst.«
»Ist das denn nicht einerlei?«
»Ich glaube, er deliriert«, sagte der Bruder. »Er sagt immer wieder das gleiche.«
»Wie merkwürdig«, meinte der alte Mann. »Ich habe immer gedacht, er heißt Giuseppe, und jetzt stelle ich fest, er heißt Yossarián.
Das ist wirklich sehr merkwürdig.«
»Mama, heitere ihn auf«, drängte der Bruder. »Sag ihm was Lustiges.«
»Giuseppe.«
»Er heißt doch nicht Giuseppe, Ma. Er heißt doch Yossarián.
»Ist das denn nicht einerlei?« erwiderte die Mutter im gleichen klagenden Ton, ohne aufzublicken. »Er stirbt doch.«
Ihre geschwollenen Augen füllten sich mit Tränen, und sie begann zu weinen. Sie wiegte sich langsam auf dem Stuhl hin und her, und ihre Hände lagen wie gestorbene Schmetterlinge im Schoß.
Yossarián fürchtete, daß sie in lautes Klagegeheul ausbrechen werde. Vater und Bruder begannen nun ebenfalls zu weinen. Yossarián fiel ein, aus welchem Grunde sie alle weinten, und da weinte er ebenfalls. Ein Arzt, den Yossarián nie zuvor gesehen hatte, trat ein und erklärte den Besuchern höflich, daß sie gehen müßten. Der Vater richtete sich auf, um förmlich Abschied zu nehmen.
»Giuseppe«, begann er.
«Yossarián«, berichtigte der Sohn.
»Yossarián«, sagte der Vater.
»Giuseppe«, berichtigte Yossarián.
»Du wirst bald sterben.«
Yossarián begann wieder zu weinen. Der Arzt warf ihm aus der Ecke des Zimmers einen bösen Blick zu, und Yossarián gebot seinen Tränen Einhalt.
Der Vater fuhr feierlich und mit gesenktem Haupt fort: »Wenn du zu dem Mann da über uns sprichst«, sagte er, »dann will ich, daß du ihm etwas von mir ausrichtest. Sag ihm, es wäre unrecht, daß junge Leute sterben müssen. Das ist mein Ernst. Sag ihm, wenn die Menschen schon sterben müssen, sollten sie alt sterben.
Ich will, daß du ihm das ausrichtest. Ich nehme an, er weiß nicht, daß es unrecht ist, denn angeblich ist er doch gut, und das geht nun schon lange so. Okay?«
»Und laß dir da oben von niemandem was gefallen«, mahnte der Bruder. »Im Himmel bist du genauso gut wie alle anderen, auch wenn du Italiener bist.«
»Zieh dich warm an«, sagte die Mutter, die Bescheid zu wissen schien.
Colonel Cathcart
Colonel Cathcart war ein aalglatter, erfolgreicher, liederlicher, unglücklicher Mensch von sechsunddreißig Jahren, der beim Gehen watschelte und gerne General sein wollte. Er war feurig und mutlos, auf seine Würde bedacht und leicht zu kränken. Er war selbstzufrieden und unsicher, tollkühn im Entwerfen administrativer Winkelzüge,
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