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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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aus vielen Nasen auf allen Teilen seines Körpers spürte. Sie schnüffelten mit winzigen Lichtstrahlen in seinen Augen und seinen Ohren, attackierten seine Beine und Füße mit Gummihämmern und Vibrationsgabeln, entnahmen seinen Adern Blut und hielten alles Mögliche in die Luft, das er aus den Augenwinkeln erkennen sollte. Der Anführer dieser Ärztemannschaft war ein würdiger, sorgenvoller Herr, der Yossarián einen Finger vor die Nase hielt und fragte: »Wie viele Finger sehen Sie?«
    »Zwei«, sagte Yossarián.
    »Wie viele Finger sehen Sie jetzt?« fragte der Arzt und hielt zwei Finger hoch.
    »Zwei«, sagte Yossarián.
    »Und wie viele jetzt?« fragte der Arzt und hielt keinen Finger hoch.
    »Zwei«, sagte Yossarián.
    Das Gesicht des Arztes verzog sich zu einem Lächeln. »Donnerwetter, er hat recht«, jubelte er. »Er sieht wirklich alles zweimal.«
    Man rollte Yossarián in den Raum, wo der andere Soldat lag, der alles zweimal sah, und verhängte über die anderen Insassen der Station wiederum eine vierzehntägige Quarantäne.
    »Ich sehe alles zweimal!« rief der Soldat, der alles zweimal sah, als man Yossarián hereinrollte.
    »Ich sehe alles zweimal!« rief Yossarián ebenso laut zurück und blinzelte ihm heimlich zu.
    »Die Wände! Die Wände!« schrie der andere Soldat. »Schiebt die Wände weg!«
    »Die Wände! Die Wände!« schrie Yossarián, »schiebt die Wände weg!«
    Einer der Ärzte tat so, als schiebe er die Wand weg. »Reicht es so?«
    Der Soldat, der alles zweimal sah, nickte schwach und sank auf sein Bett zurück. Auch Yossarián nickte schwach und beobachtete aus den Augenwinkeln seinen begabten Mitbewohner mit großer Ehrfurcht und Bewunderung. Er wußte sich in der Gegenwart eines Meisters. Sein begabter Mitbewohner war es offenbar wert, beobachtet und nachgeahmt zu werden. Während der Nacht starb sein begabter Mitbewohner, und Yossarián fand, daß er ihn lange genug nachgeahmt hatte.
    »Ich sehe alles einmal!« rief er schnell.
    Eine neue Gruppe von Spezialisten kam mit ihren Instrumenten an sein Bett gerannt, um zu prüfen, ob dies wahr sei.
    »Wie viele Finger sehen Sie?« fragte der Anführer und hielt einen Finger hoch.
    »Einen.«
    Der Arzt hielt zehn Finger hoch. »Und wie viele jetzt?«
    »Einen.«
    Der Arzt wandte sich seinen Kollegen verblüfft zu. »Er sieht wirklich alles nur einmal!« sagte er. »Wir haben sein Befinden schon gebessert.«
    »Und das war auch höchste Zeit«, verkündete der Arzt, mit dem Yossarián sich bald darauf allein befand, ein großer torpedoförmiger, freundlicher Mann mit braunen Bartstoppeln und einem Päckchen Zigaretten in der Hemdtasche. Er lehnte sich gegen die Wand und machte sorglos eine Zigarette an der anderen an. »Es sind da etliche Angehörige gekommen, um Sie zu besuchen. Oh, nur keine Angst«, setzte er lachend hinzu. »Nicht Ihre Angehörigen. Es handelt sich um die Mutter, den Vater und den Bruder des Burschen, der da gestorben ist. Die haben den ganzen Weg von New York hierher gemacht, um einen sterbenden Soldaten zu sehen, und wir haben keinen besseren zur Hand als Sie.«
    »Was reden Sie denn da?« fragte Yossarián mißtrauisch. »Ich sterbe doch nicht.«
    »Selbstverständlich sterben Sie. Das tun wir alle. Was glauben Sie denn, zum Teufel, in welcher Richtung Sie sich bewegen?«
    »Diese Leute sind doch aber nicht gekommen, um mich zu sehen«, machte Yossarián geltend. »Sie sind gekommen, um ihren Sohn zu sehen.«
    »Sie müssen eben vorlieb nehmen. Was uns betrifft, so ist ein sterbender junger Soldat ebenso gut oder schlecht wie ein anderer. Vor der Wissenschaft sind alle sterbenden Soldaten gleich.
    Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen: Lassen Sie sich ein Weilchen von ihnen betrachten. Ich sage dafür niemandem, daß Sie Leberbeschwerden simuliert haben.«
    Yossarián zog sich noch weiter von ihm zurück. »Das wissen Sie?«
    »Selbstverständlich. Ganz dumm sind wir hier nicht.« Der Arzt grunzte freundlich und brannte wieder eine Zigarette an. »Sie können doch nicht erwarten, daß man Ihnen Ihre Leberschmerzen glaubt, wenn Sie bei jeder Gelegenheit den Krankenschwestern die Brust tätscheln. Auf Ihr Sexualleben müssen Sie schon verzichten, wenn Sie anderen vormachen wollen, Sie seien leberkrank.«
    »Das ist ja ein furchtbarer Preis, den man zahlen muß, bloß, um am Leben zu bleiben. Warum haben Sie mich nicht gemeldet, wenn Sie doch wußten, daß ich simuliere?«
    »Warum sollte ich wohl?« fragte der Arzt

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