Catch 22
Yossarián die Kopfhörer wegflogen und er hilflos unter dem Dach der Kanzel schwebte.
O Gott! schrie Yossarián lautlos, als er fühlte, wie sie alle stürzten. O Gott, o Gott, o Gott! rief er flehend hinter Lippen, die sich nicht öffnen konnten, während die Maschine stürzte und er gewichtlos an der Decke schwebte, bis endlich Huple den Knüppel wieder in die Hand bekam und die Maschine in die Horizontale brachte, genau auf dem Grunde jener irrwitzigen verklippten stahlsplittrigen Schlucht aus krepierenden Flakgranaten, aus der sie sich mit Mühe herausgearbeitet hatten und der sie nun noch einmal entfliehen mußten. Fast sogleich machte es bums, und im Plexiglas der Kanzel klaffte ein faustgroßes Loch. Yossariáns Wangen brannten, wo winzige Splitter ihn getroffen hatten. Er blutete nicht.
»Was ist passiert? Was ist passiert?« schrie er und begann heftig zu zittern, weil er die eigene Stimme nicht hören konnte. Die leere Stille in der Bordverständigung war niederschmetternd, und er war zu verängstigt um sich zu rühren, während er auf Händen und Knien hockte, erwartungsvoll, mit angehaltenem Atem, wie eine Maus in der Falle, bis er schließlich den glänzenden Stecker der Kopfhörer erblickte, der vor seinen Augen hin und her pendelte, und ihn mit zitternden Fingern in die Dose stieß. O Gott! schrie er immer wieder, während die Granaten wummernd und Rauchpilze ausspeiend um ihn her zerplatzten, o Gott!
Als Yossarián «ich wieder in die Bordverständigung einschaltete, hörte er Dobbs weinen.
»Helft ihm, helft ihm«, schluchzte Dobbs. »Helft ihm, helft ihm.«
»Wem denn? Wem denn?« rief Yossarián zurück. »Wem sollen wir helfen?«
»Dem Bombenschützen, dem Bombenschützen«, rief Dobbs. »Er antwortet nicht. Helft dem Bombenschützen! Helft dem Bombenschützen!«
»Ich bin ja der Bombenschütze«, rief Yossarián zurück. »Mir fehlt nichts. Mir fehlt nichts.«
»Dann helft ihm, helft ihm«, schluchzte Dobbs. »Helft ihm, helft ihm.«
»Wem denn? Wem denn?«
»Dem Funker«, flehte Dobbs. »Helft dem Funker.«
»Mir ist kalt«, winselte Snowden matt über die Bordverständigung und dann klagend: »Bitte helft mir, mir ist kalt.«
Und Yossarián kroch aus der Kanzel, über den Bombenschacht weg in das Heck der Maschine hinunter, wo Snowden im gelben Sonnenlicht verwundet und zu Tode frierend nahe dem neuen, ohnmächtig gewordenen Heckschützen auf dem Boden lag.
Dobbs war der schlechteste Pilot der Welt, und er wußte das auch. Er war das Wrack eines jungen Mannes, und er bemühte sich unablässig, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, daß er nicht mehr geeignet war, ein Flugzeug zu steuern. Keiner seiner Vorgesetzten wollte ihn anhören, und an dem Tag, als die Anzahl der vorgeschriebenen Feindflüge auf sechzig erhöht wurde, stahl sich Dobbs in Yossariáns Zelt, während Orr auf der Suche nach Unterlegscheiben war, und erläuterte seinen Plan zur Ermordung Colonel Cathcarts. Dazu brauchte er Yossarián« Hilfe.
»Du willst also, daß wir ihn kaltblütig umbringen?« fragte Yossarián.
»Richtig«, stimmte Dobbs optimistisch lächelnd zu, denn es ermutigte ihn, daß Yossarián die Sache so schnell begriffen hatte.
»Wir erschießen ihn mit der Pistole, die ich aus Sizilien mitgebracht habe, und von der niemand weiß, daß ich sie besitze.«
»Ich glaube, ich bringe das nicht fertig«, entschied Yossarián, nachdem er ein Weilchen still bei sich diesen Gedanken erwogen hatte.
Dobbs war verblüfft. »Warum nicht?«
»Versteh mich recht: nichts würde mich mehr freuen, als wenn dieses Schwein sich den Hals bräche, bei einer Bruchlandung krepierte oder von unbekannter Hand erschossen würde. Aber ihn zu töten, brächte ich nicht fertig.«
»Er brächte es aber fertig, dich zu töten«, widersprach Dobbs.
»Du hast übrigens selber oft gesagt, daß er uns allesamt umbringt, indem er uns zwingt, mehr und mehr Einsätze zu fliegen.«
»Aber ich brächte es eben doch nicht fertig, ihn hinzumachen.
Vermutlich hat auch er ein Recht, am Leben zu sein.«
»Aber nicht, wenn er versucht, uns unser Recht auf Leben zu stehlen.
Was ist bloß mit dir los?« Dobbs war erstaunt. »Ich habe dich oft genug mit Clevinger über diese Sache streiten hören.
Und sieh nur, was aus ihm geworden ist. Mitten in einer Wolke verschwunden.«
»Hör gefälligst auf zu schreien!« ermahnte Yossarián.
»Ich schreie nicht!« schrie Dobbs noch lauter und ganz rot im Gesicht vor revolutionärem
Weitere Kostenlose Bücher