Catch 22
blühte wie eine fruchtbare Oase. Yossarián betrachtete sie und verliebte sich schrecklich. Der Mut verließ ihn, und er fühlte sich ausgehöhlt und taub. Da saß er, erfüllt von feuchtkaltem Verlangen nach ihren vollen, roten Lippen und den Grübchen, und hörte zu, wie Major Danby mit eintöniger didaktischer, männlich dröhnender Stimme die starke Konzentration von Flak beschrieb, die sie in Avignon erwartete, und bei dem Gedanken, daß er dieses liebliche Weib, mit dem er nie ein Wort gesprochen und das er nun auf so ergreifende Weise liebte, vielleicht nie wieder sehen sollte, stöhnte er vor Verzweiflung. Während er sie ansah, zitterte er vor Angst und Begehrlichkeit — so schön war sie. Er betete den Boden an, auf dem sie stand. Er fuhr sich mit klebriger Zunge über die aufgesprungenen, vertrockneten Lippen und stöhnte wiederum vor Jammer, diesmal laut genug, um die überraschten, forschenden Blicke der Männer auf sich zu ziehen, die in ihren schokoladenfarbenen Kombinationen und weißen Fallschirmgurten auf den rohen Holzbänken in seiner Nähe saßen.
Nately sah ihn erschreckt an. »Was ist?« flüsterte er. »Was ist los?«
Yossarián hörte nicht. Die Begierde hatte ihn krank gemacht, und Bedauern lahmte ihn. General Dreedles Pflegerin war nur ein kleiner Pausback, doch seine Sinne waren bis zur Übersättigung erfüllt von dem gelben Glanz ihrer Haare, dem nichtempfundenen Druck der weichen, kurzen Finger, von der rundlichen, ungeschmeckten Üppigkeit ihrer mannbaren Brüste in dem rosa Uniformhemd, das an ihrem Hals weit offen stand, von dem rollenden, schwellenden, dreieckigen Zusammenfluß von Bauch und Oberschenkeln in der stramm sitzenden, glatten, waldgrünen Offiziershose. Er trank ihr Bild unersättlich ein, vom Kopf bis zu den lackierten Fußnägeln. Er wollte sie nicht verlieren.
»Uuuuuuuuuuh«, stöhnte er wieder, und dieses Mal reagierte der ganze Raum auf sein quäkendes, langgezogenes Stöhnen mit merkbarer Unruhe. Über die Offiziere auf der Empore brachen Schreck und Ungewißheit herein, und selbst Major Danby, der damit begonnen hatte, die Uhren zu vergleichen, wurde momentan abgelenkt, während er die Sekunden zählte, und hätte beinahe von vorne anfangen müssen. Nately folgte Yossariáns verzaubertem Blick durch den langen Raum, bis er zu General Dreedles Pflegerin kam. Als er begriff, was Yossarián so zu schaffen machte, erbleichte er vor Bestürzung.
»Hör auf damit«, warnte Nately scharf flüsternd.
»Uuuuuuuuuuh«, stöhnte Yossarián zum vierten Mal, und dieses Mal so laut, daß ihn jeder deutlich hören konnte. »Bist du verrückt?« zischte Nately wütend. »Du kommst in Teufels Küche.«
»Uuuuuuuuuuh«, antwortete Dunbar vom anderen Ende des Unterrichtsraumes.
Nately erkannte Dunbars Stimme. Es war jetzt nichts mehr zu retten, und er wandte sich leicht aufstöhnend ab. »Uh.«
»Uuuuuuuuuuh«, antwortete Dunbar ihm wieder.
»Uuuuuuuuuuh«, stöhnte Nately laut vor Verzweiflung, als er merkte, daß er gerade gestöhnt hatte.
»Uuuuuuuuuuh«, antwortete Dunbar ihm wieder.
»Uuuuuuuuuuh«, ließ sich eine ganz neue Stimme aus einer anderen Gegend des Raumes vernehmen, und Nately standen die Haare zu Berge.
Sowohl Yossarián als auch Dunbar beantworteten dieses neue Stöhnen, während Nately sich wand und vergeblich nach einem Loch suchte, in dem er sich verstecken und in das er auch Yossarián mitnehmen könnte. Hier und da unterdrückte man mühsam ein Lachen. Nately wurde von einer koboldhaften Lust gepackt, und als eine Pause entstand, stöhnte er mit Vorbedacht. Darauf antwortete eine neue Stimme. Der Geruch von Auflehnung lag prickelnd in der Luft, und Nately benutzte die nächste Pause, um wieder ein Stöhnen vernehmen zu lassen. Darauf antwortete wiederum eine bis dahin ungehörte Stimme. Ein Tumult war kaum noch zu vermeiden. Das verstohlene Tuscheln wurde immer lauter. Man scharrte mit den Füßen und ließ alles mögliche fallen — Bleistifte, Rechenschieber, Kartentaschen, Stahlhelme.
Von denen, die nicht stöhnten, kicherten jetzt einige ganz offen, und es ist unmöglich zu sagen, wie weit dieser unorganisierte Aufruhr des Stöhnens gegangen wäre, wenn nicht General Dreedle höchstselbst ihm Einhalt geboten hätte, indem er entschlossen vor Major Danby auf die Plattform trat, der sich mit ernster, beharrlicher Miene und gesenktem Kopf ganz auf seine Armbanduhr konzentrierte und gerade sagte ».. . fünfundzwanzig Sekunden ... zwanzig ...
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