Catch 22
als ihm alles wieder einfiel. »Oh, Sir, das stimmt nicht ganz«, erläuterte er eifrig. »Colonel Cathcart kam selbst von diesem Gedanken ab, als ihm klar geworden war, daß die Mannschaften zu dem gleichen Gott beten wie die Offiziere.«
»Was war das ?« fragte der Offizier ungläubig.
»Was für ein Blödsinn«, erklärte der rotgesichtige Colonel und kehrte dem Kaplan ärgerlich und würdevoll den Rücken.
»Glaubt er wirklich, wir nehmen ihm das ab?« rief der Major erstaunt. Der Offizier ohne Rangabzeichen kicherte böse. »Überspannen Sie den Bogen jetzt nicht ein wenig, Kaplan?« erkundigte er sich mit einem Lächeln, das zugleich verbindlich und voller Abneigung war.
»Aber es ist die Wahrheit, Sir! Ich schwöre, daß es die Wahrheit ist!«
»Ich sehe nicht ein, daß das so oder so eine Rolle spielt«, versetzte der Offizier wegwerfend und griff wieder in den offen daliegenden Hefter. »Sagten Sie auf meine Frage übrigens, daß Sie an Gott glauben? Ich erinnere mich nicht mehr.«
»Jawohl, Sir. Ich habe gesagt, daß ich an Gott glaube.«
»Das ist höchst merkwürdig, denn ich habe hier eine weitere beglaubigte Aussage von Colonel Cathcart, in der es heißt, Sie hätten ihm bei Gelegenheit erklärt, Atheismus sei nicht gesetzwidrig. Können Sie sich erinnern, jemals irgend jemandem gegenüber eine derartige Bemerkung gemacht zu haben?«
Der Kaplan nickte, ohne zu zögern, denn jetzt glaubte er sich auf ganz sicherem Boden. »Jawohl, Sir. Ich habe eine solche Bemerkung gemacht. Ich tat das, weil es der Wahrheit entspricht.
Atheismus ist nicht gesetzwidrig.«
»Deshalb braucht man das aber doch noch lange nicht auszusprechen«, tadelte der Offizier ihn scharf, runzelte die Stirn und entnahm dem Hefter wieder ein beglaubigtes Schriftstück. »Hier habe ich noch eine weitere eidesstattliche Erklärung, in der Sergeant Whitcomb behauptet, Sie hätten sich geweigert, seinem Vorschlag zuzustimmen, hektographierte Schemabriefe mit Colonel Cathcarts Unterschrift zu Beileidsübermittlungszwecken an die nächsten Angehörigen der Vermißten, Gefallenen oder Verwundeten zu senden. Stimmt das?«
»Jawohl, Sir. Ich war dagegen«, erwiderte der Kaplan. »Und ich bin stolz darauf, daß ich mich geweigert habe. Diese Schemabriefe sind unaufrichtig und verlogen. Sie haben keinen anderen Zweck als den, zur Mehrung von Colonel Cathcarts Ansehen beizutragen.«
»Aber spielt denn das eine Rolle? Sie trösten und ermutigen doch trotzdem die Angehörigen, die sie erhalten. Ich verstehe ganz einfach Ihren Gedankengang nicht, Kaplan.«
Der Kaplan war sprachlos. Eine Antwort wollte ihm nicht einfallen. Er ließ den Kopf hängen und kam sich recht naiv vor.
Nun trat der blühend aussehende Colonel lebhaft heran. Er hatte einen Einfall. »Warum hauen wir ihm nicht einfach die Birne ein?« schlug er den anderen munter vor.
»Richtig, wir könnten ihm seine gottverdammte Birne einschlagen«, stimmte der habichtsnasige Major zu. »Schließlich ist er bloß ein Anabaptist.«
»Nein, erst muß sich seine Schuld erweisen«, warnte der Offizier ohne Rangabzeichen mit einer leicht abwehrenden Gebärde. Er rutschte behende vom Tisch herunter, trat auf dessen andere Seite und stand nun, beide Hände fest auf die Platte gestemmt, dem Kaplan gegenüber. Seine Miene war umdüstert, hart, streng und unnahbar. »Kaplan«, begann er mit dem steifen Gebaren eines Richters, »wir beschuldigen Sie in aller Form, Washington Irving zu sein und sich bei der Zensur der Post von Offizieren und Mannschaften unerträgliche und unstatthafte Freiheiten herausgenommen zu haben. Bekennen Sie sich schuldig oder nicht?«
»Nicht schuldig, Sir.« Der Kaplan fuhr sich mit trockener Zunge über trockene Lippen und lehnte sich gespannt auf seinem Stuhl nach vorn.
»Schuldig«, sagte der Colonel.
»Schuldig«, sagte der Major.
»Also schuldig«, sagte der Offizier ohne Rangabzeichen und machte eine Notiz auf einem Blatt Papier im Hefter.
»Wir beschuldigen Sie überdies«, fuhr er aufblickend fort, »Vergehen und Verbrechen begangen zu haben, die bislang nicht zu unserer Kenntnis gelangt sind. Schuldig oder nicht schuldig?«
»Ich weiß nicht, Sir. Wie soll ich antworten, wenn ich nicht einmal weiß, was Sie mir vorwerfen?«
»Wie können wir Ihnen etwas vorwerfen, solange wir nicht einmal wissen, was?«
»Schuldig«, entschied der Colonel.
»Klar ist er schuldig«, stimmte der Major zu. »Wenn es seine Verbrechen und seine Vergehen sind, muß
Weitere Kostenlose Bücher