Catch 22
er sie schließlich begangen haben.«
»Also schuldig«, rief der Offizier ohne Rangabzeichen und trat beiseite. »Jetzt überlasse ich ihn Ihnen, Colonel.«
»Danke Ihnen«, beglückwünschte ihn der Colonel. »Sehr gute Arbeit.« Dann zum Kaplan gewandt: »Okay, Kaplan, Ihr Stündchen hat geschlagen. Marsch.«
Der Kaplan begriff nicht. »Was soll ich tun?«
»Hauen Sie ab, verschwinden Sie, habe ich gesagt«, brüllte der Colonel und wies wütend mit dem Daumen über die Schulter.
»Verdrücken Sie sich endlich!«
Der Kaplan war von dem unflätigen Ton und den gemeinen Worten verwirrt und empfand zu seinem eigenen Staunen tiefes Bedauern darüber, daß man ihn freiließ.
»Sie bestrafen mich also nicht?« erkundigte er sich klagend und überrascht.
»Und ob wir Sie bestrafen werden! Aber Sie brauchen nicht herumzustehen, während wir beschließen, wie und wann wir das tun. Also machen Sie, daß Sie wegkommen. Verschwinden Sie endlich.«
Der Kaplan stand auf und machte versuchsweise einige Schritte.
»Ich darf mich also entfernen?«
»Vorläufig ja. Versuchen Sie aber nicht, die Insel zu verlassen.
Wir kennen Sie jetzt. Vergessen Sie nicht, daß Sie vierundzwanzig Stunden am Tag beobachtet werden.«
Es war unvorstellbar, daß es ihm gestattet sein sollte zu gehen.
Der Kaplan marschierte behutsam zum Kellerausgang und erwartete jeden Augenblick, scharf zurückgerufen oder durch einen schweren Schlag auf Kopf oder Schultern zum Stehen gebracht zu werden. Es wurde nichts unternommen, ihn aufzuhalten. Er fand seinen Rückweg durch muffig riechende, dunkle, feuchte Gänge und erreichte die Treppe. Er trat keuchend und torkelnd an die frische Luft. Kaum war er entkommen, als ihn auch schon eine ungeheure sittliche Entrüstung erfüllte. Er war wütend, wütender über die Schändlichkeiten dieses Tages, als er je zuvor im Leben gewesen war. Er eilte rasend vor Zorn und Rachsucht durch den breiten, hallenden Korridor des Stabsgebäudes. Das wollte er sich nicht länger gefallen lassen, er wollte es sich einfach nicht länger gefallen lassen! Als er zum Ausgang kam, erblickte er Colonel Korn, der breitspurig und allein die Treppe heraufkam, und das schien ihm von glücklicher Vorbedeutung. Der Kaplan stärkte sich mit einem tiefen Atemzug und trat mutig vor, um ihn anzusprechen. »Ich lasse mir das nicht mehr gefallen, Colonel«, erklärte er mit wilder Entschlossenheit und sah traurig zu, als Colonel Korn, ohne ihn überhaupt zu bemerken, an ihm vorbeiging. »Colonel Korn!«
Die faßförmige, nachlässig gekleidete Gestalt seines Vorgesetzten blieb stehen, wandte sich um und kam zurückgetrabt.
»Was ist denn, Kaplan?«
»Ich möchte Sie gerne wegen des Zusammenstoßes heute morgen sprechen, Colonel. Was für ein grauenhaftes Ereignis.«
Colonel Korn blieb einen Augenblick stumm und betrachtete derweil den Kaplan zynisch amüsiert. »Ja, das war zweifellos grausig, Kaplan«, sagte er schließlich. »Ich weiß noch gar nicht, ob ich den Bericht so abfassen kann, daß wir nicht in ein schlechtes Licht geraten.«
»Das meinte ich nicht«, tadelte ihn der Kaplan furchtlos. »Es waren unter diesen zwölfen einige, die bereits ihre siebzig Feindflüge hinter sich hatten.«
Colonel Korn lachte. »Wäre es denn weniger grausig gewesen, wenn es sich um lauter Neulinge gehandelt hätte?« fragte er beißend.
Wiederum war der Kaplan sprachlos. Die Logik der Unmoral schien ihm bei jedem Schritt ein Bein zu stellen. Als er fortfuhr, geschah es mit bebender Stimme, denn er war seiner nicht mehr so sicher. »Es ist einfach nicht recht, Sir, von den Männern in unserem Geschwader achtzig Feindflüge zu verlangen, wenn die Männer in anderen Geschwadern mit fünfzig und fünfundfünfzig heimgeschickt werden.«
»Wir werden uns die Sache überlegen«, sagte Colonel Korn gleichgültig und gelangweilt. Dann setzte er seinen Weg fort.
»Adios, Padre.«
»Was heißt das?« beharrte der Kaplan mit schriller Stimme.
Colonel Korn blieb stehen und trat dann mit unfreundlichem Gesicht eine Stufe herab. »Das heißt, daß wir uns die Sache überlegen werden, Padre«, sagte er kurz und verächtlich. »Sie erwarten doch nicht, daß wir etwas tun, ohne vorher eingehend darüber nachzudenken?«
»Nein, Sir, das wohl nicht. Sie denken doch aber schon eine ganze Weile darüber nach.«
»Richtig, Padre. Das tun wir. Aber um Sie glücklich zu machen, wollen wir noch etwas eingehender darüber nachdenken, und Sie sollen als erster
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