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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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Ambulanz schleppten und hineinwarfen. »Polizei! Hilfe! Polizei!« Die Türen wurden zugeknallt und verriegelt, und die Ambulanz jagte davon. Es lag etwas humorlos Ironisches in dem drolligen Schrecken des Mannes, der da die Polizei zu Hilfe rief, während er doch von Polizisten umringt war. Yossarián verzog das Gesicht beim Gedanken an diesen vergeblichen, lächerlichen Hilferuf, begriff dann aber erschreckt, daß die Worte zweideutig waren, erkannte bestürzt, daß sie vielleicht gar nicht als ein Ruf nach der Polizei gemeint waren, sondern als die heroische, letzte Warnung eines zum Untergang verurteilten Freundes, die sich an jeden richtete, der nicht ein Polizist mit Knüppel und Pistole war, dem ein Mob weiterer Polizisten mit Knüppeln und Pistolen den Rücken deckte. »Hilfe! Polizei!« hatte der Mann gerufen, und das konnte ein Hinweis auf Gefahr sein. Yossarián reagierte auf diesen Einfall, indem er sich scheu von den Polizisten entfernte und dabei fast über die Füße einer dicken Vierzigerin stolperte, die schuldbewußt über die Kreuzung eilte und dabei verstohlene, rachsüchtige Blicke hinter sich warf, die einer Greisin von achtzig galten, welche ihrerseits mit geschwollenen, bandagierten Knöcheln in aussichtsloser Verfolgung hinterher torkelte. Die alte Frau holte keuchend Luft und hielt aufgeregte Selbstgespräche, während sie behutsam einen Fuß vor den anderen setzte. Der Sinn des Auftrittes war eindeutig: es handelte sich um eine Jagd. Die triumphierende Verfolgte hatte bereits den Boulevard halb überquert, ehe die Verfolgerin den Bordstein erreichte. Das abscheuliche, schadenfrohe kleine Lächeln, das sie der ächzenden alten Frau zuwarf, war gleichzeitig böse und argwöhnisch. Yossarián wußte, er könne der geplagten alten Frau helfen, wenn sie nur rufen wollte, wußte, daß er loslaufen und die untersetzte Flüchtige einholen und festhalten könne, bis der Polizeipöbel herankäme, wenn nur die Verfolgerin ihm mit einem Aufschrei der Verzweiflung dazu die Erlaubnis gäbe. Die alte Frau jedoch bemerkte ihn nicht einmal, als sie schreckerfüllt, ratlos und ihren Selbstgesprächen hingegeben an ihm vorüber humpelte, und bald schon war die Gejagte in den dichteren Schichten der Dunkelheit verschwunden, während die Greisin hilflos mitten auf der Fahrbahn stand, benommen und einsam, ungewiß, wohin sich wenden. Yossarián riß seine Blicke von ihr los und eilte weiter, beschämt, weil er nichts zu ihrer Hilfe unternommen hatte. Er warf verstohlene, schuldbewußte Blicke zurück, während er besiegt flüchtete, voller Angst, daß die alte Frau ihm nachsetzen könnte.
    Er freute sich des bergenden Schutzes der feuchten, ziehenden, lichtlosen, fast undurchdringlichen Dunkelheit. Der Mob...
    Rotten von Polizeipöbel... alle Länder außer England befanden sich in den Händen des Mobs. Der Mob, Gummiknüppel in den Händen, regierte überall.
    Schulter und Kragen von Yossariáns Mantel waren durchnäßt; seine Socken feucht und kalt. Die nächste Laterne brannte ebenfalls nicht, ihr Glas war zerbrochen. Gebäude und gesichtslose Schatten zogen geräuschlos an ihm vorüber, als trieben sie unveränderlich auf der Oberfläche einer trüben, zeitlosen Flut dahin. Ein hochgewachsener Mönch ging vorüber, das Gesicht ganz in der groben, grauen Kapuze verborgen. Schritte näherten sich ihm gleichmäßig planschend durch Pfützen, und er fürchtete, wieder auf ein barfüßiges Kind zu stoßen. Statt dessen passierte er einen ausgezehrten, blassen, traurigen Mann in schwarzem Regenmantel, der auf einer Wange eine sternförmige Narbe und eine glänzende, eigroße Vertiefung in der Schläfe hatte. Eine junge Frau kam auf quatschnassen Strohsandalen daher, ihr Gesicht war von einer rosigen, scheckigen, gräßlichen Brandnarbe entstellt, die am Halse begann und sich als eine rohe, verrunzelte Fläche über beide Wangen bis in die Stirn hinauf zog. Yossarián vermochte den Anblick nicht zu ertragen und erschauerte. Niemand würde sie je lieben. Er fühlte sich in der Seele krank; er sehnte sich danach, bei einem Mädchen zu liegen, das er liebhaben konnte, das ihn besänftigen, ihn erregen und in Schlaf versinken lassen würde. In Pianosa erwartete ihn der Mob mit dem Knüppel. Die Mädchen waren alle weg. Die Gräfin und ihre Schwiegertochter genügten jetzt nicht mehr; er war zu alt für bloßen Spaß geworden, er hatte keine Zeit mehr dazu. Luciana war weg, vermutlich tot; falls jetzt noch nicht, dann

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