Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
Vom Netzwerk:
hatte der Kaplan diese Worte ausgesprochen, als er sie auch schon bedauerte und mit erschrecktem Kichern seine Knöchel vor den Mund preßte. Yossarián blieb aber stumm und enttäuschte ihn. »Es sind noch andere Leute vom Geschwader hier, nach denen ich sehen muß«, entschuldigte er sich schließlich. »Ich werde Sie aber wieder besuchen, wahrscheinlich morgen.«
    »Bitte tun Sie das«, sagte Yossarián.
    »Ich will aber nur kommen, wenn Sie Wert darauf legen«, bemerkte der Kaplan und senkte schüchtern den Kopf. »Es ist mir aufgefallen, daß sich viele unserer Leute in meiner Gegenwart bedrückt fühlen.«
    Yossarián glühte geradezu vor Zuneigung. »Ich möchte aber, daß Sie kommen«, sagte er. »Ich fühle mich in Ihrer Gegenwart durchaus nicht bedrückt.«
    Der Kaplan strahlte dankbar und blickte verstohlen auf einen Zettel, den er die ganze Zeit über in der Hand verborgen gehalten hatte. Er zählte die Betten ab, bewegte dabei die Lippen und richtete dann seine Aufmerksamkeit zweifelnd auf Dunbar.
    »Darf ich wohl fragen«, flüsterte er, »ob das Leutnant Dunbar ist?«
    »Jawohl«, erwiderte Yossarián laut, »das ist Leutnant Dunbar.«
    »Vielen Dank«, flüsterte der Kaplan. »Vielen, vielen Dank. Ich muß ihn besuchen. Ich muß jeden Angehörigen des Geschwaders besuchen, der im Lazarett ist.«
    »Auch die auf den anderen Stationen?« fragte Yossarián.
    »Auf die auf den anderen Stationen.«
    »Sehen Sie sich vor, Pater«, warnte Yossarián. »Auf den anderen Stationen werden die Verrückten aufbewahrt. Es wimmelt dort von Wahnsinnigen.«
    »Sie brauchen mich nicht Pater zu nennen«, erklärte der Kaplan.
    »Ich bin Anabaptist.«
    »Ich meinte das ganz im Ernst, was ich über die anderen Stationen gesagt habe«, fuhr Yossarián fort. »Auch die Militärpolizei wird Sie dort nicht schützen, das sind nämlich die Verrücktesten von allen. Ich würde Sie selbst begleiten, aber ich fürchte mich zu sehr. Irrsinn ist ansteckend. Diese Station hier beherbergt die einzigen normalen Patienten im ganzen Lazarett. Außer uns sind alle verrückt. Was das betrifft, so ist dies vermutlich die einzige normale Krankenstation auf der ganzen Welt.«
    Der Kaplan erhob sich schnell und wich von Yossariáns Bett zurück, dann nickte er versöhnlich lächelnd und versprach, sich mit der gebotenen Vorsicht aufzuführen. »Und jetzt muß ich Leutnant Dunbar besuchen«, sagte er. Er blieb aber noch zögernd und zerknirscht stehen. »Übrigens... Leutnant Dunbar...«
    brachte er schließlich hervor.
    ». . . ist einer von den Besten«, versicherte Yossarián. »Ein famoser Bursche. Einer der besten und uninteressiertesten Menschen von der Welt.«
    »So meinte ich es nicht«, erwiderte der Kaplan, von neuem flüsternd. »Ist er krank?«
    »Nein, er ist nicht sehr krank. In Wirklichkeit ist er überhaupt nicht krank.«
    »Das ist ja schön.« Der Kaplan seufzte erleichtert.
    »Ja«, sagte Yossarián. »Ja, das ist schön.«
    »Ein Kaplan«, sagte Dunbar, nachdem der Kaplan seinen Besuch bei ihm gemacht hatte und weggegangen war. »Hast du das gesehen? Ein Kaplan!«
    »War er nicht süß?« fragte Yossarián. »Man sollte ihm vielleicht drei Stimmen geben.«
    »Wer ist man?« erkundigte sich Dunbar mißtrauisch.
    In einem Bett auf der kleinen Privatstation lag der würdig aussehende ältliche Colonel, der unermüdlich hinter der grünen Sperrholzwand arbeitete und täglich von einer gütig aussehenden Frau mit lockigem, aschblondem Haar besucht wurde, die weder eine Pflegerin noch eine Truppenhelferin war und gleichwohl getreulich jeden Nachmittag im Lazarett von Pianosa erschien. Sie trug hübsche, pastellfarbene Sommerkleider von großer Eleganz, dazu weiße Lederpumps mit halbhohen Absätzen unter Nylonnähten, die stets ganz gerade saßen. Der Colonel gehörte zur Nachrichtenabteilung und war Tag und Nacht damit beschäftigt, schleimige Meldungen aus seinem Inneren in viereckige Gazebäusche zu übermitteln, die er gewissenhaft faltete und in einen verdeckten, weißen Behälter beförderte, der neben seinem Bett auf dem Nachttisch stand. Der Colonel sah unerhört attraktiv aus. Er hatte einen eingesunkenen Mund, eingesunkene Wangen, eingesunkene, traurig verschwiemelte Augen. Sein Gesicht zeigte die Farbe angelaufenen Silbers, er hustete gedämpft und behutsam, betupfte seine Lippen mit Gazebäuschen und legte dabei einen Ekel an den Tag, der schon automatisch geworden war.
    Der Colonel existierte im Zentrum eines

Weitere Kostenlose Bücher