Catch 22
Mahlstroms von Spezialisten, deren Spezialität es nach wie vor war, den Versuch zu machen, herauszubekommen, was ihm eigentlich fehlte. Sie blendeten seine Augen mit Lichtern, um zu sehen, ob er sehen könne, und rammten Nadeln in seine Nerven, um zu hören, ob er fühlen könne. Es gab einen Urologen für seinen Urin, einen Lymphologen für seine Lymphe, einen Endokrinologen für seine Endokrine, einen Psychologen für seine Psyche, einen Dermatologen für seine Derma; ein Pathologe befaßte sich mit seinem Pathos, ein Zystologe mit seinen Zysten, und ein glatzköpfiger, pedantischer Zetaseanologe von der zoologischen Abteilung der Universität Harvard, den die schadhafte Anode einer Lochkartenmaschine skrupellos zum Dienst in einer Sanitätseinheit gepreßt hatte, bemühte sich anläßlich seiner Visiten bei dem sterbenden Colonel, ein Gespräch über Moby Dick in Gang zu bringen.
Der Colonel war wirklich gründlich untersucht worden. Es gab kein Organ in seinem Körper, das nicht mit Medikamenten behandelt und geschändet, abgestaubt und ausgepumpt, ausgeplündert und wieder eingesetzt worden wäre. Die Frau, die proper, zierlich und steil aufgerichtet an seinem Bett saß, legte oft die Hand auf ihn, und wenn sie lächelte, war sie das Urbild erhabener Trauer. Der Colonel war groß, hager und krumm. Wenn er zu einem kleinen Spaziergang sein Bett verlassen wollte, krümmte er sich noch mehr und setzte die Füße sehr behutsam auf, indem er die Unterschenkel zentimeterweise dem Fußboden näherte.
Unter seinen Augen sah man violette Ringe. Die Frau sprach sehr leise, sogar noch leiser als der Colonel hustete, und keiner der Männer auf der Station vernahm jemals ihre Stimme.
Der Texaner brauchte keine zehn Tage dazu, um die Station zu entvölkern. Der Captain von der Artillerie war der erste, der niederbrach, und dann folgte der große Auszug. Dunbar, Yossarián und der Jagdflieger flüchteten am gleichen Vormittag.
Dunbar hatte plötzlich keine Schwindelanfälle mehr, und der Jagdflieger beendete seine Grippe durch schlichtes Putzen der Nase. Yossarián erklärte den Ärzten, daß der Schmerz in seiner Leber verschwunden sei. So einfach war das. Selbst der Deckoffizier floh. In weniger als zehn Tagen trieb der Texaner alle Insassen zum Dienst zurück — alle mit Ausnahme des CID-Menschen, der sich bei dem Jagdflieger eine Erkältung geholt hatte und nun an Lungenentzündung erkrankt war.
Clevinger
In gewisser Weise hatte der CID-Mensch Glück gehabt, denn außerhalb des Lazarettes war der Krieg immer noch im Gang.
Männer wurden verrückt und dafür mit Auszeichnungen belohnt. Überall auf der Welt, auf beiden Seiten der Front, opferten junge Männer ihr Leben für etwas, das man ihnen als ihr Vaterland bezeichnet hatte, und daran schien sich niemand zu stoßen, am wenigsten die jungen Männer selbst, die ihr junges Leben opferten. Ein Ende war nicht abzusehen. Das einzige absehbare Ende war dasjenige von Yossarián, und er wäre wohl bis zum jüngsten Tag im Lazarett geblieben, wäre nicht der patriotische Texaner gewesen, mit seiner trichterförmigen Wamme und dem dummen, irrwitzigen, unzerstörbaren Lächeln, das stets und ständig auf seinem Gesicht lag wie der Schatten der Krempe eines schwarzen Cowboyhutes. Der Texaner wollte alle auf der Station glücklich sehen, ausgenommen Yossarián und Dunbar. Er war wirklich sehr krank.
Doch Yossarián konnte nicht glücklich sein, auch wenn der Texaner ihm das Glück noch so sehr mißgönnte, denn außerhalb des Lazarettes ereignete sich immer noch nichts Komisches. Das einzige, was sich ereignete, war ein Krieg, und niemand außer Yossarián und Dunbar schien davon Notiz zu nehmen. Und wenn Yossarián versuchte, die anderen daran zu erinnern, wichen sie ihm aus und hielten ihn für verrückt. Selbst Clevinger, der es hätte besser wissen müssen, der es aber eben doch nicht besser wußte, hatte Yossarián noch unmittelbar vor dessen Flucht ins Lazarett für verrückt erklärt.
Clevinger hatte ihn wütend und empört angestarrt, auf der Tischplatte gekratzt und gebrüllt: »Du bist verrückt!«
»Was erwartest du eigentlich von den Menschen?« hatte Dunbar sich müde durch den Lärm im Offizierskasino bei ihm erkundigt.
»Ich meine es ganz im Ernst«, beharrte Clevinger.
»Man versucht, mich umzubringen«, erklärte Yossarián ihm ruhig.
»Niemand versucht, dich umzubringen«, rief Clevinger.
»Warum schießen sie denn auf mich?« fragte
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