Catch 22
gesundes Lachen aus. Luciana floh lachend in ihren weißen hochhackigen Pantoffeln den Bürgersteig entlang und zerrte Yossarián mit dem gleichen lustvollen, witzigen Eifer hinter sich her, den sie am Abend zuvor im Tanzsaal und seither jede Minute an den Tag gelegt hatte. Yossarián holte sie ein und legte den Arm um ihre Hüfte, und so gingen sie bis an die Ecke, wo sie sich von ihm löste. Sie kämmte das Haar vor ihrem Taschenspiegel und trug Lippenstift auf.
»Warum bittest du mich nicht, dir meinen Namen und meine Adresse aufschreiben zu dürfen, damit du mich findest, wenn du wieder nach Rom kommst?« schlug sie vor.
»Warum läßt du mich nicht deinen Namen und deine Adresse aufschreiben?« stimmte er zu.
»Warum?« fragte sie streitlustig, und ihr Mund verzog sich plötzlich höhnisch, und in den Augen blitzte der Zorn. »Damit du den Zettel in kleine Stücke zerreißen kannst, sobald ich weg bin?«
»Wer reißt den Zettel in kleine Stücke?« wehrte sich Yossarián verwirrt.
»Du«, beharrte sie. »Sobald ich den Rücken gekehrt habe, wirst du den Zettel in kleine Stücke reißen und dich wie ein großer Mann fühlen, weil ein schönes junges Mädchen wie ich, Luciana, dich bei sich hat schlafen lassen, ohne Geld dafür zu verlangen.«
»Wieviel Geld willst du denn?« fragte er.
»Stupido!« rief sie gefühlvoll. »Ich will keine Geld von dir!« Sie stampfte mit dem Fuß auf und hob mit wilder Bewegung den Arm, was Yossarián befürchten ließ, sie wolle ihm wieder eines mit ihrer großen Handtasche versetzen. Statt dessen kritzelte sie Namen und Adresse auf ein Stück Papier und schob es ihm mit hastiger Bewegung hin. »Hier«, neckte sie ihn bitter und biß sich in die Lippen, um ein feines Beben zu unterdrücken, »vergiß nicht. Vergiß nicht, den Zettel in kleine Fetzen zu reißen, sobald ich weg bin.«
Dann lächelte sie ihn heiter an, drückte ihm die Hand und preßte sich mit einem bedauernd geflüsterten »addio« für einen Augenblick gegen ihn. Danach richtete sie sich auf und ging mit einer ihr nicht bewußten Würde und Anmut davon.
Kaum war sie weg, da zerriß Yossarián den Zettel zu kleinen Fetzen und ging in der anderen Richtung weg. Er fühlte sich wie ein großer Mann, weil ein schönes junges Mädchen wie Luciana bei ihm geschlafen und kein Geld dafür genommen hatte. Er war recht mit sich zufrieden, bis er entdeckte, daß er im Speisesaal des Roten Kreuzes in Gesellschaft von Dutzenden und Dutzenden Soldaten in den ausgefallensten Uniformen frühstückte, und da sah er plötzlich überall Luciana, wie sie sich auszog und anzog, ihn streichelte und beschimpfte, sah sie in dem rosa Hemd aus Kunstseide, das sie bei ihm im Bett anhatte und nicht ausziehen wollte. Yossarián erstickte fast an Toast und Rührei, als ihm klar wurde, welch unerhörten Fehler er begangen hatte, als er ihre langen, schmiegsamen, nackten, bebenden jungen Glieder so dreist in kleine Fetzen gerissen und so selbstzufrieden in die Gosse geworfen hatte. Schon fehlte sie ihm entsetzlich. Es waren da so viele quäkende, gesichtslose Menschen in Uniform um ihn her. Er fühlte das drängende Verlangen, schon bald wieder mit ihr allein zu sein, sprang impulsiv vom Tisch auf, rannte auf die Straße, zurück zur Wohnung auf der Suche nach den kleinen Papierfetzen in der Gosse, doch waren die schon von der Straßenreinigung weggeschwemmt worden.
Er fand sie an jenem Abend nicht im Allied Officers Club, er fand sie auch nicht in dem stickigen, glänzenden, hedonistischen Tumult des Schwarzmarktrestaurants mit den riesengroßen, schwankenden Tabletts voll eleganter Mahlzeiten und den zwitschernden Schwärmen strahlender, hübscher Mädchen. Er vermochte nicht einmal das Restaurant zu finden. Als er allein im Bett lag, träumte er wieder von der Flak über Bologna und von Aarfy, der ihm mit seiner aufgeschwemmten, schmutzig grinsenden Visage über die Schulter blickte. Am Morgen darauf suchte er Luciana in allen französischen Büros, die er entdecken konnte, doch verstand niemand, was er wollte. Nun packte ihn die Angst, machte ihn überempfindlich, verzweifelt und verwirrt, so daß er in seinem Schrecken einfach irgendwohin laufen mußte. Und so lief er denn in die Wohnung der Mannschaften zu der vierschrötigen Magd in den zitronenfarbenen Höschen, die er dabei antraf, wie sie in Snowdens Zimmer im fünften Stock Staub wischte, angetan mit einem verwaschenen, braunen Pullover und dickem schwarzem Rock. Damals lebte
Weitere Kostenlose Bücher