Catch 22
nicht zukam.
Der Soldat in Weiß glich einer entrollten Bandage mit einem Loch darin oder auch einem Steinbrocken am Hafen, aus dem ein gekrümmtes Zinkrohr ragt. Die anderen Patienten auf der Station, das heißt alle, ausgenommen den Texaner, wichen ihm mit zartfühlender Abneigung aus, seit sie ihn am Morgen nach der Nacht, in 'der er eingeschmuggelt worden war, erstmals erblickt hatten. Sie versammelten sich ernüchtert in der entlegensten Ecke der Station und klatschten in boshaftem, gekränktem Flüsterton über ihn. Sie lehnten sich gegen seine Anwesenheit auf, die sie für eine grauenhafte Zumutung hielten, und haßten ihn erbittert, weil er das strahlendweiße Mahnmal für eine Wahrheit war, die ihnen Übelkeit erregte. Alle fürchteten sich davor, daß er anfangen könnte zu stöhnen.
»Ich weiß nicht was ich tun werde, wenn er wirklich zu stöhnen anfängt«, hatte der fesche junge Jagdflieger mit dem goldenen Schnurrbärtchen hilflos gejammert. »Er wird dann nämlich auch des Nachts stöhnen, weil er ja nicht wissen kann, wie spät es ist.«
Solange der Soldat in Weiß anwesend war, gab er keinen Laut von sich. Das ausgefranste, runde Loch über seinem Mund war tief und rabenschwarz und ließ nichts von Lippen, Zähnen, Gaumen oder Zunge erkennen. Der einzige, der nahe genug heranging, um einen Blick darauf werfen zu können, war der leutselige Texaner, der mehrmals am Tage nahe genug heranging, um mit dem Soldaten in Weiß ein Schwätzchen über die Erhöhung des Stimmenanteils der anständigen Leute zu halten, wobei er das Gespräch jedesmal mit der unveränderlichen Formel: »Tag, wie gehts, Freund? Schon besser?« begann. Die anderen hielten sich in ihren sich aufribbelnden Flanellpyjamas von den beiden zurück und stellten düstere Betrachtungen darüber an, wer der Soldat in Weiß sei, warum er da liege und wie er wohl innen aussehen mochte.
»Der Junge ist in Ordnung«, pflegte der Texaner nach jeder seiner nachbarlichen Visiten aufmunternd zu berichten. »Ganz tief drinnen ist er wirklich in Ordnung. Er ist bloß etwas schüchtern, und unsicher, weil er hier doch niemanden kennt und nicht sprechen kann. Warum geht ihr nicht hin und stellt euch vor? Er beißt euch doch nicht.«
»Was willst du damit sagen, zum Teufel?« wollte Dunbar wissen.
»Versteht er denn, wovon du redest?«
»Klar versteht er. Er ist doch nicht blöde. Der Junge ist in Ordnung.«
»Kann er dich hören?«
»Tja, ob er mich hören kann, weiß ich nicht, aber bestimmt versteht er, was ich meine.«
»Bewegt sich das Loch über seinem Mund jemals?«
»Na, das ist wohl eine blöde Frage«, sagte der Texaner unsicher.
»Woher weißt du, daß er atmet, wenn sich nichts bewegt?«
»Woher weißt du überhaupt, daß es ein Männchen ist?«
»Hat er unter seinem Gesichtsverband Wattepolster auf den Augen?«
»Bewegt er jemals die Zehen oder die Fingerspitzen?«
Der Texaner zog sich in steigender Verwirrung zurück. »Was stellt ihr nur für blöde Fragen! Ihr müßt doch allesamt verrückt sein! Warum geht ihr nicht einfach zu ihm und macht seine Bekanntschaft? Ich sage euch doch, er ist wirklich ein netter Bursche.«
Der Soldat in Weiß glich mehr einer ausgestopften und sterilisierten Mumie als einem netten Burschen. Schwester Duckett und Schwester Gramer hielten ihn blitzsauber. Sie fuhren oft mit einem Staubwedel über seine Verbände und schrubbten den Gips an Armen, Beinen, Schultern, Brust und Bauch mit Seifenwasser.
Mit Hilfe eines Döschens Messingpolitur verliehen sie der stumpfen Zinkröhre, die aus dem Zementdeckel über seinem Unterleib aufragte, einen matten Glanz. Mehrmals am Tage wischten sie mit feuchten Küchentüchern den Staub von den dünnen schwarzen Gummischläuchen, die in ihn hinein und aus ihm heraus zu den beiden großen, mit Stopfen versehenen Gefäßen führten, deren eines an einer Stange neben seinem Bett hing und unablässig durch den Schlitz in den Verbänden eine Flüssigkeit in seinen Arm träufelte, die das andere, fast unsichtbar am Boden stehend, auf dem Wege durch das Zinkrohr auf seinem Leib wieder aufnahm. Die beiden jungen Krankenschwestern putzten unermüdlich die Glasbehälter; sie betrachteten ihr häusliches Wirken mit Stolz. Von den beiden Mädchen war Schwester Gramer die besorgtere, ein wohlgeformtes, hübsches Ding ohne Sex-Appeal, mit einem gesunden, reizlosen Gesicht. Schwester Gramer hatte eine schelmische Nase, strahlenden, blühenden Teint mit reizvollen,
Weitere Kostenlose Bücher