Catch 22
Es gab Krankheiten der Haut, Krankheiten der Lunge, Krankheiten des Magens, Krankheiten des Herzens, des Blutes und der Arterien. Es gab Krankheiten des Kopfes, Krankheiten des Halses, Krankheiten der Brust, Krankheiten der Gedärme, Krankheiten der Fortpflanzungsorgane. Es gab sogar Fußkrankheiten. Milliarden pflichtbewußter Körperzellen schufteten Tag und Nacht wie unwissende Tiere an dem komplizierten Werk, ihn am Leben und gesund zu erhalten, und jede einzelne davon war ein potentieller Verräter und Feind.
Es gab so viele Krankheiten, daß es eines wirklich kranken Hirns bedurfte, dieser Krankheiten so häufig zu gedenken, wie er und Hungry Joe das taten.
Hungry Joe stellte Listen tödlicher Krankheiten auf und ordnete sie in alphabetischer Reihenfolge, so daß er ohne Zeitverlust den Finger auf jede Krankheit legen konnte, deretwegen er sich Kummer zu machen wünschte. Er regte sich furchtbar auf, wenn er eine Liste verlegte oder wenn er nichts hinzufügen konnte, und dann rannte er, von kaltem Schweiß bedeckt, hilfesuchend zu Doc Daneeka.
»Schenk ihm Ewings Tumor«, riet Yossarián Doc Daneeka, der sich um Rat für die Behandlung von Hungry Joe an Yossarián zu wenden pflegte, »und als Zugabe Melanoma. Hungry Joe hat zwar eine Schwäche für hartnäckige Krankheiten, doch schätzt er die explosiven Krankheiten noch höher.«
Doc Daneeka hatte von beiden Krankheiten noch nie gehört.
»Wie bringst du es nur fertig, dich über soviele Krankheiten auf dem Laufenden zu halten?« fragte er mit kollegialer Hochachtung.
»Ich erfahre alles darüber, wenn ich im Lazarett Readers Digest lese.« Yossarián hatte so viele Krankheiten zu fürchten, daß er gelegentlich in Versuchung war, sich dem Lazarett für immer zu überantworten und den Rest seines Lebens unter einem Sauerstoffzelt zu verbringen, zur rechten Seite seines Bettes eine Batterie von Spezialisten und Krankenschwestern, die vierundzwanzig Stunden täglich darauf warteten, daß ihm etwas zustieße, und mindestens einen Chirurgen mit gezücktem Messer auf der anderen Seite, jederzeit bereit loszuspringen, um zu schneiden, sollte es nötig werden. Zum Beispiel Aneurysmus, wie konnte man ihn rechtzeitig vor einem Aneurysmus der Aorta schützen?
Yossarián fühlte sich im Lazarett viel sicherer als draußen, wenngleich er den Chirurgen mit dem Messer mindestens so verabscheute, wie er je irgend jemanden verabscheut hatte. Immerhin — wenn er im Lazarett ein Geheul anstimmte, kam jemand gelaufen, um ihm zu helfen; außerhalb des Lazarettes würde man ihn nur ins Gefängnis werfen, falls er je über alle jene Dinge ein Geheul anstimmte, über die seiner Ansicht nach alle Menschen ein Geheul anstimmen sollten. Vielleicht würde man ihn auch ins Lazarett schaffen. Eines der Dinge, über die er ein Geheul anstimmen wollte, war das Messer des Chirurgen, das mit Gewißheit ihn und jeden erwartete, der lange genug lebte, um zu sterben. Er fragte sich oft, woran er wohl das erste Frösteln, Erröten, Zucken, Ziepen, Rülpsen, Niesen, Fleckigwerden, Ermüden, Versprechen, Taumeln oder Vergessen erkennen würde, das den unvermeidlichen Anfang vom unvermeidlichen Ende ankündigte.
Er fürchtete auch, daß Doc Daneeka sich wieder weigern würde, ihm zu helfen, als er ihn aufsuchte, nachdem er aus Major Majors Büro gesprungen war, und er hatte recht.
»Du glaubst wohl, du hättest Grund, dich zu fürchten?« fragte Doc Daneeka und hob den feinen, makellosen, dunklen Kopf von der Brust, um Yossarián einen Augenblick lang gereizt und mit weinerlichen Augen anzusehen. »Was soll ich da sagen? Meine kostbare medizinische Fingerfertigkeit rostet hier auf dieser lausigen Insel ein, während andere Ärzte den Rahm abschöpfen.
Glaubst du vielleicht, es macht mir Spaß, hier tagaus tagein zu sitzen und dir meine Hilfe zu verweigern? Es wäre weniger schlimm für mich, wenn ich dir meine Hilfe in der Heimat verweigern könnte oder auch in einer Stadt wie, sagen wir, Rom.
Auch mir fällt es nicht leicht, dir hier nein zu sagen.«
»Dann hör doch auf, nein zu sagen. Schreib mich fluguntauglich.«
»Das kann ich nicht«, nuschelte Doc Daneeka. »Wie oft muß man dir denn das sagen.«
»Doch kannst du. Major Major hat mir gesagt, du bist der einzige in der Staffel, der das kann.«
Doc Daneeka war perplex. »Das hat dir Major Major gesagt?
Wann denn?«
»Als ich im Graben auf ihn losgegangen bin.«
»Major Major hat das gesagt? In einem Graben?«
»Nein, in
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