Catch 22
anbetungswürdigen Sommersprossen gesprenkelt, die Yossarián verabscheute. Der Soldat in Weiß rührte sie tief.
Ihre tugendhaften, blaßblauen, tellergroßen Augen füllten sich oft ganz unerwartet mit übergroßen Tränen, was Yossarián wütend machte.
»Woher wissen Sie überhaupt, daß er da drin steckt?« fragte er sie.
»Erlauben Sie sich nicht, so mit mir zu reden!« erwiderte sie entrüstet.
»Nun, woher wissen Sie das? Sie wissen nicht einmal, ob er es wirklich ist.«
»Wer?«
»Nun der, der angeblich in diesen Verbänden stecken soll. Vielleicht weinen Sie für jemand anderen. Woher wissen Sie, daß er überhaupt am Leben ist?«
»Wie können Sie sowas sagen!« rief Schwester Gramer. »Gehen Sie jetzt sofort ins Bett und hören Sie auf, Witze über ihn zu reißen.«
»Ich reiße keine Witze. Es kann wirklich irgendein x-beliebiger Mensch da drin stecken. Es könnte sogar sein, daß Mudd drin ist.«
»Was meinen Sie?« fragte Schwester Gramer mit zitternder Stimme.
»Vielleicht ist der tote Mann drin.«
»Welcher tote Mann?«
»Ich habe einen toten Mann in meinem Zelt, den wir nicht loswerden können. Er heißt Mudd.«
Schwester Gramer erbleichte und wandte sich verzweifelt um Hilfe an Dunbar. »Machen Sie, daß er aufhört, sowas zu sagen«, bat sie.
»Vielleicht ist gar keiner drin«, schlug Dunbar hilfsbereit vor.
»Vielleicht hat man diese Gipsfigur nur zum Scherz hereingerollt.«
Sie wich erschreckt vor Dunbar zurück. »Sie sind wahnsinnig«, rief sie und sah sich beschwörend um. »Sie sind beide wahnsinnig.«
In diesem Moment trat Schwester Duckett auf und schickte die Patienten in ihre Betten, während Schwester Gramer die Behälter des Soldaten in Weiß auswechselte. Die Behälter des Soldaten in Weiß auszuwechseln, machte keine Schwierigkeiten, weil dieselbe klare Flüssigkeit, die aus ihm herausgekommen war, von neuem, und offenbar ohne weniger geworden zu sein, in ihn zurückgeschüttet wurde. Wenn der Behälter, aus dem die Flüssigkeit in seinen Ellbogen tropfte, nahezu leer war, war der Behälter auf dem Fußboden nahezu voll, beide wurden einfach nur von ihren Schläuchen befreit und schnell vertauscht, so daß die Flüssigkeit gleich wieder in ihn hineintropfen konnte. Die Behälter auszutauschen, verursachte niemandem Beschwerden außer den Männern, die diesem Vorgang zusahen und nicht wußten, was sie davon halten sollten. »Warum können sie die beiden Behälter nicht direkt miteinander verbinden und den Mittelsmann ausschalten?« fragte der Captain von der Artillerie, mit dem Yossarián nicht mehr Schach spielte. »Wozu benötigen sie ihn eigentlich, zum Teufel?«
»Ich möchte doch wissen, was er verbrochen hat, um so eine Behandlung zu verdienen«, lamentierte der Deckoffizier mit der Malaria und dem Moskitostich auf dem Hintern, nachdem Schwester Gramer das Thermometer abgelesen und festgestellt hatte, daß der Soldat in Weiß tot war.
»Er ist in den Krieg gezogen«, vermutete der fesche Jagdflieger mit dem goldenen Schnurrbärtchen.
»Wir sind alle in den Krieg gezogen«, hielt Dunbar ihm entgegen.
»Das ist ja meine Rede«, sagte der malariakranke Deckoffizier wieder. »Warum gerade er? Dieses System von Belohnung und Strafen scheint von keiner Logik angekränkelt. Nehmt mal meinen Fall. Wenn ich für fünf Minuten Liebe am Strand mit Syphilis oder einem Tripper bestraft worden wäre, statt mit diesem verfluchten Mückenstich, dann könnte ich darin noch so etwas wie Gerechtigkeit erblicken. Aber Malaria? Malaria? Wer kann behaupten, daß Malaria eine Folge der Unzucht sei?« Der Deckoffizier schüttelte verständnislos den Kopf.
»Na und ich?« sagte Yossarián. »Ich bin eines Nachts in Marrakesch aus dem Zelt gegangen, um mir Schokolade zu besorgen, und habe mir deinen Tripper geholt, als mich die Luftwaffenhelferin, die ich noch nie gesehen hatte, ins Gebüsch lockte. Eigentlich wollte ich nur einen Riegel Schokolade, aber wer kann sowas schon ablehnen!«
»Das klingt wirklich nach meinem Tripper«, stimmte der Deckoffizier zu. »Ich habe immer noch eine fremde Malaria. Ich möchte nur einmal erleben, daß diese Dinge der Ordnung nach ausgeteilt werden und jeder wirklich das bekommt, was er verdient. Das gäbe mir doch wieder etwas Vertrauen zu unserer Welt.«
»Und ich habe dreihunderttausend Dollar, die gewiß einem anderen zugedacht waren«, gestand der fesche junge Jagdflieger mit dem goldenen Schnurrbärtchen. »Vom Tage meiner Geburt an habe
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