Cathérine und die Zeit der Liebe
Stadtknechten übel zugerichtet, die sie mit einem Hagel von Lanzenhieben traktierten, um sich einen Weg zu den Häusern zu bahnen, brüllten die Menschen wie Schweine auf der Schlachtbank. Schmerz und Wut mischten sich. Hin und wieder brachen Streitigkeiten aus, ja, es kam sogar zu Tätlichkeiten. Und schon stürmten die Männer Don Martins in die Herbergen und unterzogen die Gastwirte und Reisenden scharfen Verhören. Jedermann glaubte in jedem unbekannten oder auch nur etwas fremdländisch aussehenden Gesicht einen der furchtbaren Banditen des Waldes von Oca zu erkennen, die zweifellos gekommen waren, um ihren Kameraden zurückzuholen. Furcht schlich sich in die Herzen und säte Panik.
Plötzlich ließ sich von der anderen Seite des geschlossenen Tores schwach ein frommer Gesang hören, ein so bekannter Gesang, daß Cathérine jäh den Kopf hob.
»E ul treia!
E sus eia!
Deus aia nos!«
Der jahrhundertealte Gesang der Pilger von Compostela. Der Gesang, den sie immer anstimmten, wenn die Müdigkeit sie übermannte, der Gesang, den Cathérine noch vor wenigen Wochen beim Verlassen von Puy und auf den einsamen Wegen des Aubrac selbst angestimmt hatte. Eine vage Hoffnung stieg in ihr auf. Es schien ihr, daß die alte Kantilene die Antwort Gottes auf ihr sehnliches Gebet sei. Sie sprang vom Wagen, eilte zum Fallgatter, klammerte sich mit beiden Händen daran und drückte das Gesicht zwischen die Stangen. Vor ihr, auf der römischen Brücke, näherte sich ein Trupp ermatteter und zerlumpter Pilger, die sich bemühten, ihre müden Rücken aufzurichten und ihre hängenden Köpfe zu heben. An der Spitze, die Augen zum Himmel gehoben, den fanatischen Blick auf die Wolken gerichtet und hoch den Stab hebend, mit dem er den Takt zu dem Gesang schlug, marschierte Gerbert Bohat …
»Sieh mal einer an!« flüsterte Josse, der neben Cathérine geglitten war. »Wie man sich wiedertrifft!«
Aber Gerbert hatte seine ehemaligen Weggenossen nicht gesehen. Er war einige Schritte vor dem heruntergelassenen Fallgatter stehengeblieben und hob den Kopf zum Wall hinauf, wo Soldaten Wache standen.
»Warum ist dieses Tor geschlossen?« fragte er. »Öffnet den fahrenden Rittern Gottes!«
Und gleich wiederholte er seine Worte auf spanisch. Ein Bewaffneter erwiderte etwas, was offenbar bedeutete, er solle zum Teufel gehen, denn der Ton war barsch. Aber die christliche Sanftmut hielt den Clermonteser nicht zurück, scharf zu antworten. Er hob die Stimme und herrschte seinen Gegner an.
»Was sagt er?« fragte Cathérine.
»Keine christliche Stadt habe jemals gewagt, vor den Pilgern von Compostela ihre Tore zu verschließen. Er und die Seinen seien erschöpft, er habe Kranke in seinem Zug und Verwundete, die unbedingt ins Hospiz müßten, denn sie seien von Briganten überfallen worden, und er verlange, daß die Tore geöffnet würden!«
»Und was antwortet man ihm?«
»Don Martin wolle es nicht!«
So ging das Gespräch, immer schneller und heftiger werdend, einige Augenblicke hin und her. Schließlich bohrte Gerbert Bohat seinen Stab in die Erde, lehnte sich in wartender Positur darauf, während um ihn die Pilger sich ermattet und erschöpft auf den Boden lagerten.
»Nun?« fragte Cathérine Josse.
»Gerbert berief sich auf den Erzbischof. Der Soldat hat ihm geantwortet, man werde Don Martin holen lassen.«
Der Alkalde kam auch sofort. Cathérine bemerkte flüchtig seine lange schwarze Gestalt, seine Spinnenbeine, die die Stiege zum Wall erklommen. Hans wiederum war vom Karren gestiegen, trotz der Wachen, die von ihm verlangten, er solle nach Hause zurückfahren, und hatte sich seinen Gefährten angeschlossen. »Dahaben wir vielleicht eine Chance«, sagte er leise. »Ich habe Don Martin sagen hören, die Pilger seien vielleicht von Oca-Briganten überfallen worden, und man müsse die Ankömmlinge verhören.«
Tatsächlich war die schneidende Stimme Don Martins einen Augenblick später über Catherines Kopf zu hören. Gerbert hatte höflich gegrüßt, hatte aber seine starre Haltung dabei nicht aufgegeben. Ein neuer Wortwechsel, unverständlich für die junge Frau, folgte, dann mäßigte sich der Ton des Alkalden abrupt. Hans flüsterte erstaunt:
»Er sagt, er werde die Tore vor den frommen Leuten öffnen lassen … aber mir gefällt seine plötzliche Sanftheit gar nicht. Die Kunst des Verhörens Fremder macht Don Martin nicht viel Schwierigkeiten. Trotzdem, wenn das Fallgatter aufgemacht wird, müssen wir daraus Nutzen
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