Cathérine und die Zeit der Liebe
über das Pflaster von Paris schleppte und, besonders, als ich fast Hungers starb, mied ich die Nähe von Garküchen, auf deren Feuern so viele fette, schöne und nahrhafte Düfte ausströmende Kapaune brieten, die für mich unerreichbar waren. Ich weiß nicht, ob Ihr versteht, was ich meine?«
»O doch, es ist mir durchaus klar!« entgegnete Cathérine, ihren Platz neben ihm wieder einnehmend. Sie lächelte nicht mehr und in dem Blick, den sie auf ihren Gefährten richtete, lag ein Anflug von Achtung und Freundschaft. Dann fuhr sie in absolut sachlichem Ton fort: »Ich bitte Euch um Verzeihung, Josse. Ich hatte mit einemmal Lust verspürt, Euch zu hänseln.«
»Mich zu hänseln oder mich auf die Probe zu stellen?«
»Beides vielleicht«, gab Cathérine freimütig zu. »Aber Ihr habt Euer Examen glänzend bestanden. Brechen wir nun auf?«
Und die Reise war ohne weiteres Scharmützel verlaufen. Gauthier auf seinem Stroh war fast immer bewußtlos. Von Zeit zu Zeit schüttelte ihn eine der fürchterlichen Krisen, die Cathérine so sehr erschreckten. In den Pausen dazwischen erwachte er nicht aus seinem höchst beunruhigenden schlafsüchtigen Zustand, denn jetzt war er nicht einmal mehr genügend bei Bewußtsein, um sich zu ernähren. Man mußte ihn wie ein kleines Kind füttern. Am Abend der letzten Wegstrecke hatte Cathérine Josse mit Tränen in den Augen zu Rate gezogen.
»Wenn diese Reise noch lange dauert, bringen wir ihn nicht mehr lebend zu dem maurischen Arzt.«
»Morgen bei Sonnenuntergang«, versicherte Josse darauf, »müssen wir die Türme von Coca sehen.«
Und tatsächlich, als am anderen Tag die Sonne sich in einem herrlichen Strahlenglanz von Gold und Purpur dem Horizont zuneigte, entdeckte Cathérine das mythische Schloß des Erzbischofs von Sevilla. Sein Anblick verschlug ihr einen Augenblick den Atem: Jäh aus der roten Erde aufragend, als wäre sie ihrem Innern entstiegen, war eine Festung aus blutrot schimmernden Steinen wie ein Palast aus Tausendundeiner Nacht vor ihr aufgetaucht. Phantastisches Juwel der maurischen Baukunst, in den ersten Jahren des Jahrhunderts dem heimwehkranken Hirn eines gefangenen maurischen Architekten entsprungen, hoben sich Türmchen gleich einem Wald von Orgelpfeifen in den fahlen Himmel, dicke Backsteintürme flankierend und mit unerwarteter Anmut die Wucht der doppelten Umwallung und des massiven Schloßturms auflockernd. Es war eher ein Emirpalast als das Domizil eines christlichen Bischofs, doch die Pracht, die es darbot, minderte nicht die Drohung, die es aus seiner Höhe über die von ihm beherrschte Talschlucht auszustrahlen schien. Auf der anderen Seite schloß es sich an ein Plateau an, von dem es jedoch ein tiefer Graben trennte.
Stumm betrachteten Cathérine und Josse das rote Wunder, das vorläufige Ziel ihrer Reise. Bangigkeit befiel flüchtig das Herz Catherines. Gott allein mochte wissen, warum sie sich in diesem Augenblick an einem anderen Ort unter einem anderen Himmel vor einer anderen Festung sah, weniger seltsam vielleicht, aber möglicherweise noch drohender mit ihren glatten schwärzlichen Mauern und schwindelnden Türmen. War es der Ruf der Seltsamkeit Alonso de Fonsecas, der sie vor Coca das Schloß des Seigneurs Blaubart, das großartige und schreckliche Champtocé, wo sie so gelitten hatte, beschwören ließ? Hier hatte sie nichts zu fürchten. Sie wollte nur um Beistand für einen Verwundeten bitten. Dennoch zögerte sie vor diesem Schloß, als ob sich eine unbestimmte Drohung in ihm verberge … Josse wandte den Kopf und sah sie fragend an.
»Nun? Versuchen wir unser Glück?«
Sie hob die Schultern, als wollte sie sich von einer lästigen Bürde befreien.
»Wir haben keine Wahl. Was sollten wir sonst tun?«
»Richtig!«
Und ohne noch ein Wort zu verlieren, setzte Josse seine Pferde wieder in Trab, auf die schmale, winzige Pforte in dem arabischen Spitzbogen zu, der ihr als Rahmen diente. Zwei unbewegliche Posten bewachten sie. Sie schienen in der Zeit und vor diesem Hintergrund erstarrt zu sein. Sie verschmolzen so vollkommen mit der Stille des einsamen Plateaus, daß sie den Eindruck der Fata Morgana verstärkten, den dieses stumme Schloß hervorrief. Einzig das Lilienbanner des Schloßturms bewegte sich leise im schwachen Abendwind und schien zu leben. Zur großen Überraschung Catherines und Josses rührten die Soldaten sich nicht, als der Karren sich ihnen näherte. Und als Josse ihnen in seinem besten Spanisch erklärte, die
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