Cathérine und die Zeit der Liebe
schläft!«
Tatsächlich schlief Gauthier in seinen Fesseln wie ein Kind, ohne auch nur den kleinen Finger zu bewegen.
»Aber er wird unter dem Messer aufwachen!«
»Seinem Schlaf machen weder das Messer noch die Flamme etwas aus. Er schläft nicht nur, weil ich ihm eine Arznei gegeben habe, sondern weil ich ihm befohlen habe zu schlafen. Und er wird erst erwachen, wenn ich ihm den Befehl dazu gebe.«
Cathérine spürte, wie sich ihre Haare sträubten. Sie warf dem Mauren einen entsetzten Blick zu und bekreuzigte sich mehrere Male, so daß der Arzt lachen mußte.
»Nein, nein, ich bin nicht der Dämon, vor dem die Christen sich so fürchten. Ich habe nur in Buchara und Samarkand studiert. Dort verstehen es die Magier, eine aus dem menschlichen Willen geborene und durch das Licht verbreitete Kraft zu benützen, die sie Hypnotismus nennen, aber dies ist eine Sache, die sich schwer erklären läßt, besonders einer Frau. Jetzt werde ich beginnen … Geh!« Während er noch sprach, schnallte er den Kopf des Verwundeten mit einem Lederriemen in der gewünschten Stellung fest, ergriff ein blitzendes Skalpell und machte schnell einen kreisrunden Einschnitt in die Haut. Das Blut tropfte, rann, und Cathérine erblaßte. Sanft führte Don Alonso sie zur Tür.
»Geht jetzt in die Gemächer, die für Euch vorbereitet sind, meine Tochter. Tomas wird Euch hingeleiten. Ihr werdet den Kranken wiedersehen, wenn Hamza seine Operation beendet hat.«
Plötzliche Müdigkeit hatte Cathérine überwältigt. Ihr Kopf war schwer. Im Treppenhaus des Schloßturms angekommen, folgte sie unwillkürlich der schmalen Gestalt des Pagen, der plötzlich wiederaufgetaucht war. Tomas ging vor ihr her, ohne das geringste Geräusch zu machen, ohne ein Wort zu reden. Sie hatte den Eindruck, ein Phantom zu begleiten. Vor einer niedrigen Tür aus bemaltem und geschnitztem Zypressenholz angelangt, stieß er den Türflügel auf, trat beiseite und sagte nur:
»Hier!«
Sie trat nicht sofort ein, blieb vor dem jungen Mann stehen.
»Kommt wieder, um mich zu benachrichtigen, wenn … wenn alles vorüber ist«, bat sie mit einem Lächeln. Aber der Blick des jungen Mannes blieb eisig.
»Nein«, sagte er hart, »ich werde nicht wieder zu dem Mauren hinaufsteigen. Das ist die Höhle des Teufels, und seine Arzneikunst ist Gotteslästerung. Die Kirche verbietet Blutvergießen!«
»Aber Euer Herr ist nicht dagegen.«
»Mein Herr?« Die Lippen des jungen Torquemada zogen sich zu einem unbeschreiblichen Ausdruck der Verachtung herunter. »Ich habe keinen anderen Herrn als Gott. Bald werde ich Ihm dienen können, Dank sei Ihm gesagt! Ich werde diese Wohnung des Satans vergessen.«
Gereizt durch den feierlichen Ton und fanatischen Dünkel, die bei einem so jungen Mann ziemlich lächerlich wirkten, wollte Cathérine ihn schon an die Achtung erinnern, die er Don Alonso schuldete, als ihr Blick plötzlich abschweifte und auf einer Gestalt in der Galerie haftenblieb, die langsam näher kam: ein schwarzgekleideter Mönch. Er war sehr groß. Der Knotenstrick seiner Kutte umspannte einen knochigen Körper, und sein graues Haar war kurz geschoren und ließ eine große Tonsur frei. Auf den ersten Blick hatte dieser Mönch nichts Außergewöhnliches an sich; wenn er nicht eine schwarze Binde über einem Auge getragen hätte. Er war ein Mönch wie alle anderen, aber als er jetzt langsam auf sie zu kam, spürte Cathérine, wie ihr das Blut in den Adern gerann, während in ihrem Kopf die Gedanken wild durcheinanderwirbelten. Ein Angstschrei entrang sich ihren Lippen, und sie stürzte unter den verblüfften Augen des jungen Tomas in ihr Gemach, schlug die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht daran, während ihre zitternde Hand an den Hals fuhr und den Kragen aufzureißen versuchte, der sie zu erwürgen drohte. Unter der Tonsur und der schwarzen Augenbinde des Mönches hatte sie, aus dem Schatten der Galerie auftauchend und auf sie zu kommend, das Gesicht Garins de Brazey erkannt – – –
Lange glaubte Cathérine, den Verstand verloren zu haben. Alles verschwand: die Jahreszeit, die Stunde, der Ort. Nichts existierte mehr als das verwirrende Bild, das vor ihr aufgetaucht war, dieses vergessene Gesicht, seit vielen Jahren verschwunden und so jäh wieder erschienen.
Mit kraftlosen Beinen hatte sie sich zu Boden gleiten lassen, hatte sich an die Tür gelehnt und den Kopf in beide Hände genommen, als wollte sie den Sturm, der in ihrem Innern
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