Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Cathérine und die Zeit der Liebe

Titel: Cathérine und die Zeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benzoni Juliette
Vom Netzwerk:
tobte, besänftigen. Die grausamen Bilder von einst stiegen wieder aus der dunklen Tiefe der Vergangenheit auf, bitter wie eine Woge von Galle. Sie sah Garin im Gefängnis, angekettet, an den Füßen gefesselt. Sie hörte wieder, wie er sie flehentlich um das Gift bat, das ihm die Schande ersparen würde, verhöhnt zu werden. Auch die Stimme Abu al-Khayrs hörte sie murmeln, während er ihm den todbringenden Wein reichte: »Er wird einschlafen … und nicht mehr erwachen.«
    Dann sah sie sich selbst wieder, am nächsten Tag, die Nase ans Fenster gedrückt, nach draußen in einen grauen, regnerischen Morgen blickend. Die Bilder stellten sich jetzt sehr schnell und genau ein, wie mit der Feder gestochen: die wütende Menschenmenge, der an die Leiter gespannte schwere Ackergaul, die Pfützen grauen Wassers und die athletische rote Gestalt des Henkersknechts, der auf seinen Armen den Leib eines reglosen Mannes trug … »Er ist bestimmt tot«, hatte Sara gesagt. Und wie konnte man auch nur einen Augenblick daran zweifeln? Cathérine glaubte, noch jetzt auf den roten Fliesen dieses fremden Zimmers den großen weißen Hampelmann vor sich zu sehen, in eine Starre gebannt, die nicht täuschen konnte. Es war bestimmt die Leiche Garins gewesen, die damals, auf die Leiter gebunden, holpernd und stoßend über das grobe Pflaster geschleift worden war. Und nun der andere … der soeben in der Galerie vor ihr aufgetaucht war, der mit dem Gesicht Garins, mit der schwarzen Binde Garins? Konnte es sein, daß der Finanzminister von Burgund nicht tot, daß er durch ein unwahrscheinliches Wunder seinem Schicksal entgangen war? Aber nein, das war nicht möglich! Selbst wenn Abu al-Khayr statt eines Gifts nur eine kräftige Arznei verabreicht hätte, hatte der Leichnam des Verurteilten dennoch am Galgen gehangen. Tot oder lebendig, Garin war gehängt worden. Sara, Ermengarde, ganz Dijon hatten ihn gesehen, nackt und schauerlich am Galgen hängend … Alle hatten ihn gesehen … außer Cathérine. Und so groß war ihre Verwirrung, daß sie an sich selbst, am Zeugnis ihrer Sinne, zu zweifeln begann. War es wirklich der Leib Garins gewesen, den sie auf der Leiter gesehen hatte? Sie war an jenem Tage so verstört gewesen. Konnten ihre verweinten Augen sie nicht getäuscht haben? Andererseits, warum sollten ihre Freunde, ihre Umgebung gelogen haben, wenn sie etwas Verdächtiges bemerkt hätten? War die Sinnestäuschung denn so vollkommen gewesen, daß eine ganze Stadt sich von ihr hatte einfangen lassen?
    Und plötzlich schoß ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Wenn Garin noch lebte, wenn er es wirklich war, den sie eben in dieser Mönchskutte bemerkt hatte, dann war ihre Heirat mit Arnaud null und nichtig, dann war sie eine Bigamistin, und Michel, ihr kleiner Michel, war nur ein Bastard!
    Mit all ihren Kräften wies sie diesen scheußlichen Gedanken, der in ihr aufgestiegen war, zurück. Sie wollte es nicht, es durfte nicht sein! Gott und das Schicksal konnten ihr das nicht antun! Von Garin hatte sie nur Leid und Verzweiflung erfahren. Er hatte ihr ein prächtiges, aber würdeloses Leben ermöglicht, ein Leben, wie sie es um nichts in der Welt wieder führen wollte. »Ich werde noch verrückt!« sagte sie laut. Und dann zerriß der drohende Schleier des Wahnsinns. Und alsbald stellte sich brutal die Reaktion ein. Cathérine straffte sich. Sie wollte fliehen, dieses Schloß sofort verlassen, in dem solche Schatten geisterten, den sengenden Weg der Sonne wiederfinden, der zu Arnaud führte. Ob er nun lebte oder tot war, ob Mensch oder Phantom, sie würde ihr Leben nicht durch Garin zerrütten lassen. Er war tot, und tot sollte er bleiben. Und um nicht das Risiko einzugehen, erkannt zu werden, mußte sie fliehen. Sie wandte sich zur Tür, wollte sie öffnen …
    »Dama «, sagte eine leise Stimme hinter ihr.
    Sie fuhr herum. In der Tiefe des Gemachs, neben einem von Säulen umrahmten Fenster, knieten zwei junge Dienerinnen vor einer großen offenen Truhe aus bemaltem und vergoldetem Leder. Sie entnahmen ihr schimmernde Seidengewänder und breiteten sie über die roten Fliesen des Bodens. In ihrer Panik hatte Cathérine sie nicht einmal gesehen. Sie rieb sich, wieder in die Wirklichkeit versetzt, die Augen. Nein … es war nicht möglich zu fliehen. Da war ja Gauthier, ihr Freund Gauthier, den sie nicht im Stich lassen konnte. Ein Schluchzen entrang sich ihr. Mußte sie denn immer die Gefangene ihres Herzens bleiben, Gefangene

Weitere Kostenlose Bücher