Cathérine und die Zeit der Liebe
diesen Unfall wäre ich schon weit und hätte Euch nicht getroffen …«
»Leider«, seufzte Cathérine, »werden wir uns von neuem aus den Augen verlieren. Sicherlich wird Euer Bein Euch noch mehrere Tage hier festhalten, und ich muß morgen mit meinen Gefährten weiterziehen!«
Die natürliche, gesunde Gesichtsfarbe der Dame de Châteauvillain wurde dunkelrot.
»Glaubt das nur nicht, meine Schöne! Ich habe Euch wiedergefunden und werde Euch nicht verlassen. Ich ziehe mit Euch. Meine Leute werden mich auf einer Bahre tragen, wenn ich mich nicht auf dem Pferd halten kann, aber ich werde keine Minute länger als Ihr hierbleiben. Und wie wär's, wenn Ihr jetzt ein wenig schlafen würdet? Es ist spät, und Ihr müßt müde sein. Legt Euch neben mich, es ist Platz für zwei!«
Ohne sich weiter bitten zu lassen, legte Cathérine sich neben ihrer Freundin zur Ruhe. Der Gedanke, daß sie mit und neben Ermengarde aufbrechen würde, der Gedanke an deren gesunde, moralische Haltung erfüllte sie gleichzeitig mit Freude und Vertrauen in die Zukunft.
Die alte Dame war unzerstörbar. Schon einmal, nach dem Tode des kleinen Philippe, hatte Cathérine geglaubt, sie sei am Ende. Sie war gramgebeugt, war plötzlich gealtert. Ihre Seele hatte sich auf den Tod vorbereitet … und jetzt traf sie sie auf den großen Landstraßen wieder, vitaler und bissiger denn je! Gewiß würde der Weg mit Ermengarde leichter und viel angenehmer sein.
Das Feuer im Kamin brannte herunter. Die Gräfin hatte die Kerze ausgeblasen, und Schatten hatten das kleine Zimmer überflutet. Cathérine konnte nicht umhin zu lächeln, als sie daran dachte, was für ein Gesicht Gerbert Bohat machen würde, wenn er am Morgen die imposante Dame auf ihrer Trage sähe und erführe, daß er sie in Zukunft seinen Pilgern hinzuzählen mußte. Seine Reaktion wäre es zweifellos wert, gesehen zu werden.
»Woran denkt Ihr?« fragte Ermengardes Stimme plötzlich. »Ihr schlaft noch nicht, ich fühl's!«
»An Euch, Ermengarde, und an mich! Ich habe Glück gehabt, Euch am Anfang dieser langen Reise getroffen zu haben!«
»Glück? Ich habe Glück gehabt, meine Liebe! Seit Monaten, ach, was sage ich, seit Jahren langweile ich mich zu Tode! Dank Euch wird mein Leben, hoffe ich, etwas pittoresker und unterhaltsamer werden. Und verdammt noch mal, das habe ich auch nötig! Ich bin schon völlig verblödet, Gott verzeihe mir! Und ich fühle mich jetzt gesünder.«
Und wie zum Beweis dieser wunderbaren plötzlichen Genesung schlief Ermengarde unverzüglich ein und fing an, so herzhaft zu schnarchen, daß sie das melancholische Gebimmel der Glocke übertönte.
In der alten romanischen Kapelle des Hospizes sprachen die gedämpften Stimmen der Pilger dem Pater Abt die Worte des rituellen Gebetes der Reisigen nach.
»Gott, der du Abraham aus seinem Lande gehen ließest und ihn auf seinen Wanderungen heil und gesund erhalten hast, gewähre deinen Kindern denselben Schutz. Stehe uns bei in der Gefahr, und lindere unseren beschwerlichen Marsch. Sei uns Schatten gegen die Sonne, Mantel gegen Regen und Wind. Trage uns in unserer Müdigkeit, und verteidige uns in jeder Gefahr. Sei der Stab, der uns vor dem Fallen bewahrt, und der Hafen, der die Schiffbrüchigen aufnimmt …«
Aber Catherines Stimme mischte sich nicht unter die anderen. Im Geist ließ sie die heftigen Worte noch einmal an sich vorüberziehen, die zwischen ihr und Gerbert Bohat kurz vor Eintritt in die Kapelle zur Messe und Predigt, die dem Aufbruch vorangingen, gewechselt worden waren. Als der Clermonteser die junge Frau unter dem Portalvorbau auftauchen sah, die noch sehr bleiche Gillette de Vauchelles am Arm, war er blaß vor Zorn geworden. Er war derart aufbrausend auf die beiden Frauen zugeeilt, daß er Ermengarde, die, auf zwei Krücken gestützt, direkt hinter ihnen ging, nicht sofort bemerkte.
»Diese Frau ist nicht fähig, die Reise fortzusetzen«, hatte er barsch gesagt. »Natürlich kann sie die Messe hören, aber wir werden sie in der Obhut der Barmherzigen Schwestern zurücklassen.«
Cathérine hatte sich vorgenommen, freundlich und geduldig zu bleib en, um Gerbert zu besänftigen, aber es wurde ihr schnell klar, daß ihre Geduld nicht von langer Dauer sein würde.
»Wer hat das bestimmt?« fragte sie in ungewöhnlich freundlichem Ton.
»Ich!«
»Und mit welcher Berechtigung, bitte?«
»Ich bin der Führer dieses Pilgerzuges. Ich habe zu entscheiden!«
»Ich glaube, da irrt Ihr Euch. Beim Aufbruch
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