Cato 02 - Im Auftrag des Adlers
Rankengewirr zu achten, das den Pfad überwucherte, folgte Cato seiner Beute. Er konnte das Tier zwar nicht einholen, kam aber jedesmal näher, wenn es ins Stolpern geriet. Das verletzte Tier brach auf die Uferböschung hinaus und stürzte sich in den Fluss. Die sanft gewellte Obefläche explodierte in unzähligen funkelnden Tröpfchen, die das Licht der Abendsonne einfingen.
Cato war dicht dahinter. Der Fluss wirkte von hier aus viel breiter und gefährlicher als vorhin von der Lichtung aus gesehen. Das Reh platschte weiter, und Cato hob den Bogen, außer sich vor Zorn, dass das Tier nun vielleicht entkam oder von der Strömung abgetrieben wurde.
Mühsam quälte sich das Reh voran, inzwischen schon dreißig Schritt entfernt. Der zweite Pfeil erwischte es im Rücken, und die Hinterbeine knickten ihm nutzlos weg. Cato ließ den Bogen auf die Uferböschung fallen und stürzte sich ins Wasser. Das Flussbett war fest und kiesig und nicht einmal einen Fuß tief. Rund um ihn spritzte Wasser auf, als er mit gezogenem Dolch auf das Reh losging. Der zweite Pfeil hatte das Rückgrat des Tiers zerschmettert, und es krümmte sich und versuchte verzweifelt, sich mit den Vorderbeinen weiterzuschleppen, während das Wasser sich von seinem Blut rot färbte.
Cato blieb aus Angst vor den wild um sich schlagenden Hufen stehen und arbeitete sich dann um das Reh herum zum Kopf vor. Als sein Schatten über die Augen des Tieres fiel, erstarrte es vor Entsetzen. Cato nahm die Gelegenheit wahr, stieß ihm den Dolch in die Kehle und schlitzte sie auf. Das Ende kam schnell und gnädig, und nach einem kurzen Todeskampf lag das Reh still da, mit leblos starrenden Augen. Cato zitterte, zum Teil von der nervösen Erregung, die die wilde Verfolgungsjagd und der Todesstoß freigesetzt hatten, zum Teil aber auch aus einem merkwürdigen Gefühl von Scham und Ekel heraus, dieses Tier getötet zu haben. Es war etwas anderes, als einen Menschen zu töten. Ganz anders. Aber warum nur fühlte es sich schlimmer an? Dann wurde Cato klar, dass er noch nie ein Tier auf diese Art getötet hatte. Gewiss, dem einen oder anderen Huhn hatte er schon den Hals umgedreht, aber das hier war ein verstörendes Gefühl, und beim Anblick des um seine Füße wirbelnden Blutes wurde ihm fast schlecht.
Erneut schaute er auf das Wasser zu seinen Füßen. Dann zur Böschung hinauf, über die er herabgekommen war. Dann hinüber zur anderen Seite.
»Ist das denn möglich?«
Cato wandte sich von dem Reh ab und watete auf das jenseitige Ufer zu, wo die Bäume sich schwarz vor einem tief orangefarbenen Himmel abzeichneten. Blinzelnd versuchte er, die Tiefe des Wassers abzuschätzen. Es war jedoch zu dunkel, und so tastete er sich nervös Schritt für Schritt durchs Wasser weiter. Der Fluss wurde allmählich tiefer und die Strömung stärker, doch als er sich in der Mitte des Flusses befand, war das Wasser ihm erst bis zur Hüfte gestiegen. Von da an verringerte die Tiefe sich wieder, und bald stand er auf der anderen Seite und spähte zu dem Ufer zurück, das sich in der Hand der Legionen befand.
Er duckte sich in den Schatten und wartete ab, bis die Sonne endgültig untergegangen war und erste Sterne sich am frühen Abendhimmel zeigten, doch weit und breit war nichts und niemand zu sehen. Keine Wachen, keine Patrouillen, nur das Gurren von Waldtauben und das leise Knacken, mit dem die Waldgeschöpfe sich um ihn herum durchs Dunkel bewegten. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er hier tatsächlich allein war, kehrte Cato zum Fluss zurück, watete zum Kadaver des Tiers und schleppte ihn zu der Stelle, wo er seinen Jagdbogen am Ufer hatte liegen lassen.
Der Optio lächelte glücklich. Heute Abend würden die Männer der Sechsten Zenturie etwas Gutes zwischen die Zähne bekommen, und morgen würde auch der Rest der Legion ihm etwas zu danken haben.
7
»Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind, Optio?«
»Ja, Herr.«
Vespasian spähte über den Fluss zum anderen Ufer. Der Tag war noch nicht angebrochen, und die Umrisse der Bäume vor dem Nachthimmel kaum zu erkennen. Das gegenüberliegende Ufer war nicht zu sehen, und als einziges Geräusch wurde das Heulen einer Eule übers Wasser getragen. Hinter dem Legaten drängte sich eine schweigende Menge von Legionären auf dem Pfad, die angespannt auf ein erstes Anzeichen von Gefahr lauschte. Nachtmärsche waren das Schreckgespenst des Armeelebens: keine Ahnung, wie weit man schon war, häufiger Stillstand, wenn die
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