Caylebs Plan - 6
Kindesbeinen an, und sie hatten einander schon immer sehr nahegestanden, auch schon vor König Sailys' Tod. Seitdem hatten sie als politische Verbündete zusammengearbeitet - gemeinsam hatten sie Sharleyan unterstützt: als Verbündete, die sich voll und ganz aufeinander verließen. Mit einem Mal wunderte sich die Kaiserin von Charis, wie es ihr hatte passieren können, zu übersehen, dass die beiden einander auch in anderer Hinsicht immer näher gekommen waren.
Ich frage mich, ob ...?
Rasch verdrängte Sharleyan diesen Gedanken wieder. Es ging sie ja auch nichts an, solange die beiden nur diskret genug waren, ihre Beziehung nicht zu einem Politikum zu machen. Andererseits wäre es ihr doch sonderbar falsch erschienen, die beiden, die sie schon so lange als ›Mutter und Onkel Mahrak‹ kannte, in einem anderen Licht zu betrachten.
»Mich was tun zu hören, hast du sehr vermisst, Mutter?«, fragte sie nun in gänzlich unschuldigem Tonfall.
»Dich lachen zu hören«, antwortete Königinmutter Alahnah schlicht. »Natürlich habe ich es noch viel mehr vermisst, dich kichern zu hören.«
Sharleyan grinste und schüttelte den Kopf. Dann wandte sie sich entschlossen vom Fenster ab und nahm ihren eigenen Platz am Tisch ein.
»Ich habe dich auch vermisst, Mutter - und Sie auch, Mahrak«, sagte sie ernst.
»Ganz meinerseits«, gab Green Mountain zurück, »und das nicht nur, weil wir hier so viele Dokumente haben, die auf Euch warten! Natürlich«, nun war es an ihm, betont zum Fenster hinüberzuschauen, »hatten wir Euch schon vor einiger Zeit daheim erwartet.«
»Ich weiß ... ich weiß!«, sagte sie bußfertig. »Es gab nur so viel zu tun, und Cayleb und ich dachten ...«
»Schätzchen, wir alle wissen, was Cayleb und du euch gedacht habt. Und wir sind auch ganz deiner Meinung«, gab Alahnah zurück und legte ihrer Tochter die Hand sanft auf den Unterarm. »Ich will gar nicht so tun, als hätte ich die Entscheidung nicht bedauert, die dich so viel mehr Zeit in Charis hat verbringen lassen ... das heißt, bis ich Cayleb selbst kennen gelernt habe.« Sie lächelte ihre Tochter warmherzig an und verdrehte theatralisch die Augen. »Hach, so ein prächtiger junger Bursche! Mit dem hast du wirklich einen guten Fang gemacht, Sharley!«
Wenn es ihr Ziel war, mit dieser Bemerkung eine Gelegenheit herbeizuführen, um ihre Tochter kichern zu hören, hatte sie damit bemerkenswerten Erfolg. Kopfschüttelnd blickte Sharleyan ihre Mutter an.
»Dem kann ich eindeutig nicht widersprechen, Mutter«, sagte die Kaiserin. »Andererseits solltest du vielleicht einmal darüber nachdenken, dass er im letzten halben Jahr länger in Cherayth war als in Tellesberg.«
»Natürlich! Deswegen weiß ich ja auch, dass deine Entscheidung, in Tellesberg zu bleiben, eine echte Staatsentscheidung war, hinter der lediglich politisches Kalkül und dein Pflichtgefühl standen, mein Herz. Das der junge Mann so ... anziehend ist, ist der einzige vorstellbare Grund, warum du nicht die ganze Zeit über hier sein solltest!«
»Ich bin froh, dass du zu schätzen weißt, welche Opfer zu bringen ich bereit bin.«
»Das tue ich, nein, wir zweifellos«, gab ihre Mutter mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit zurück. »Und dass wir deine Entscheidung gutheißen, bedeutet noch lange nicht, wir hätten dich nicht vermisst.«
»Wenn ich doch nur an zwei Orten gleichzeitig sein könnte!«, seufzte Sharleyan.
»Wenn das möglich wäre, wäre das Leben deutlich einfacher«, pflichtete Green Mountain ihr bei. »Aber da das leider nun einmal nicht geht, müssen wir eben das Beste daraus machen, nicht wahr?«
»Falls ich das bislang noch nie gesagt haben sollte, möchte ich, dass ihr es jetzt wisst: Ich bin unendlich dankbar dafür, euch beide zu haben - und eure Unterstützung«, sagte Sharleyan.
»Ich meine, Ihr hättet das bereits das eine oder andere Mal erwähnt«, gab ihr ›Onkel‹ in lockererem Ton zurück.
»Wahrscheinlich sogar noch öfter«, setzte die Königinmutter hinzu. »Um Genaueres dazu sagen zu können, muss ich natürlich in mein Tagebuch schauen.«
»Gut.« Sharleyan lächelte. »Meine Mutter hat mich so erzogen, dass ich mich für jeden kleinen Gefallen, den man mir tut, auch immer schön bedanke - zum Beispiel, wenn jemand ... sagen wir: für mich ein ganzes Jahr lang die Regierungsgeschäfte des Königreiches übernimmt, während ich in der Weltgeschichte herumgondele, um zu heiraten.«
Green Mountain brach in Gelächter aus, doch Alahnah
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