Caylebs Plan - 6
Eure Majestät«, setzte ihr persönlicher Leibgardist hinzu, und Sharleyan nickte knapp.
»Dann lassen Sie ihn bitte umgehend vor!«
»Jawohl, Eure Majestät.«
Rasch zog sich Seahamper zurück, und Sharleyan suchte den Blick ihrer Mutter und ihres Ersten Ratgebers. Sie war ein wenig erstaunt, wie viel sie doch seit dem Mittagessen schon geschafft hatten. Natürlich gab es immer noch deutlich mehr, was es anzupacken galt. Wie hätte es auch anders sein sollen nach ihrer langen Abwesenheit? Es war gut, dass vieles sich erledigen ließ, indem sie bereits getroffene Entscheidungen einfach nur mit ihrer Unterschrift billigte.
Die ganze Zeit über, in der Mutter an meiner statt Chisholm regiert hat, ist es nicht zu den geringsten Schwierigkeiten gekommen - jedenfalls im weltlichen Bereich. Besser hätte es nicht laufen können! Vielleicht ist es mir ja tatsächlich gelungen, das Königreich zu überzeugen, ein Regent müsse nicht notwendigerweise männlichen Geschlechts sein?
Natürlich gab es immer auch die religiöse Seite zu bedenken. Das Gute war, dass es Erzbischof Pawal und Green Mountain, dazu Sir Ahlber Zhustyn, der in Chisholm die Rolle bekleidete, die in Charis Baron Wave Thunder zukam, und Graf White Crag, Lordrichter des Königreiches, gelungen war, jeglichen Tempelgetreuen den Fuß so fest in den Nacken zu setzen, dass niemand von ihnen es mit aktivem Widerstand zu versuchen gewagt hatte. Dass die Tempelgetreuen in Charis auf Sharleyan ein Attentat verübten und die Art und Weise, in der der Rest des Königreiches auf diese Nachricht reagiert hatte, hatte zweifellos die Neigung der Tempelgetreuen in Chisholm verstärkt, sich bedeckt zu halten.
Bedauerlicherweise war damit nicht die Entscheidung einhergegangen, Sharleyans ›ketzerischen Widerstand gegen Mutter Kirche‹ hinzunehmen. Dank Merlin und seiner SNARCs wusste Sharleyan das vermutlich sogar besser als Zhustyn oder Green Mountain. Doch auch diese beiden gaben sich diesbezüglich keinen Illusionen hin. Sharleyan wusste sogar, dass mindestens drei Mitglieder ihres eigenes Rates derzeit Kontakt zum abgesetzten Bischof-Vollstrecker Wu-shai hielten.
Im Augenblick waren Merlin und Sharleyan davon überzeugt, sie hätten die Drahtzieher identifiziert. Doch auch das hatte seine Nachteile: Zu wissen, wen es zu beobachten galt, war natürlich unschätzbar wertvoll. Dafür aber war es unendlich schwer, gegen die Versuchung anzugehen, sie für das, was man über ihre Aktivitäten wusste, auch sofort festzunehmen. Denn es würde schwierig werden, irgendetwas davon vor Gericht auch zu beweisen. Tatsächlich sah sich Sharleyan sogar ernstlich versucht, den Verdächtigen entsprechende Beweise unterzuschieben. Glücklicherweise war sie schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, Politik mit Mitteln wie Betrug und Fälschung zu führen, bedeutete zu riskieren, von Adel und eigenem Volk gestürzt zu werden. Man sagte Sharleyan nach, geradezu pedantisch auf Einhaltung des Rechts zu pochen, auch wenn es um jene Adelige ging, die ihr feindlich gesonnen waren. Dieser Ruf war von immenser Bedeutung für die Bereitschaft, mit der ein Großteil des chisholmianischen Adels ihre Rechtsprechung gegen Vertreter dieses Standes akzeptierte.
Na ja, letztendlich werden Sie mir die nötigen Beweise liefern, Meine Lords - oder mir zumindest den Ort zeigen, an dem meine lediglich sterblichen Agenten diese Beweise finden können. Und wenn dieser Tag erst einmal gekommen ist ...
Erneut wurde die Tür zum Ratszimmer geöffnet, als Seahamper mit Caylebs Kurier zurückkehrte.
»Eure Majestät«, sagte der Kurier - ein Chisholmianer, wie Sharleyan bemerkte - und verneigte sich tief.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte Sharleyan.
»Commander Traivyr Gowyn, Eure Majestät.« Gowyn strahlte; offensichtlich freute es ihn, dass seine Kaiserin sich für seinen Namen interessierte. »Ich habe die Ehre, das Kommando über den bewaffneten Schoner Sentinel innezuhaben.«
»Ich danke Ihnen«, sagte sie, lächelte huldvoll und nahm dann wieder in ihrem Sessel Platz. »Sergeant Seahamper sagte, Ihre Depeschen seien dringend, Commander Gowyn?«
»Leider ja, Eure Majestät.« Gowyns Lächeln war verschwunden. Nun stand ihm ernsthafte Besorgnis ins Gesicht geschrieben.
»Dürften wir sie dann auch einsehen, Commander?«
»Selbstverständlich, Eure Majestät.« Gowyn öffnete die Kuriertasche und zog einen dicken Umschlag heraus. Der Umschlag war mit Caylebs persönlichem Siegel verschlossen und
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