Caylebs Plan - 6
Andererseits ist es bereits September. Es wird nicht mehr allzu viele Fünftage dauern, bis das Wetter uns dabei einschränkt, Nachrichten zu verschicken und zu erhalten, auch über die Semaphoren. Meines Erachtens sollten wir einen Entschluss fassen, wie wir auf die bislang vorliegenden Informationen zu reagieren gedenken, so unbefriedigend das in mancherlei Hinsicht auch sein mag.«
»Ganz offensichtlich ist das Erste, was wir tun müssen«, mischte sich Clyntahn ein, »das blutrünstige Handeln von Cayleb, Sharleyan und dem Rest der Anführer dieser Abtrünnigen aufs schärfste zu verdammen. Mir ist bewusst, dass Hektor und sein Sohn nur der Schismatiker wegen den Tod fanden. Aber wenn die Charisianer bereit sind, derart beiläufig regierende Fürsten und deren Erben zu ermorden, zeigt das wohl deutlich, dass die Gefahr ein ganz neues Niveau erreicht hat.«
»In welchen Hinsicht, Zhaspahr?«, erkundigte sich Duchairn. Er war selbst ein wenig überrascht, dass es ihm gelang, derart neutral zu klingen.
»Allein schon wegen dieser Unverfrorenheit, natürlich!«, erwiderte Clyntahn. »Dass sie bereit sind, derart offen ihre Widersacher aus dem Weg zu räumen, betont doch nur noch, welche Verachtung sie für die restliche Welt empfinden: Es schert sie nicht, dass man sie für ihr Handeln verdammen wird. Das wird Auswirkungen auf jeden in Safehold haben, der eine Krone trägt, oder sind Sie anderer Meinung? Wer kann sich denn jetzt noch sicher sein, dass nicht auch hinter ihm ein charisianischer Attentäter her ist, nur für den Fall, dass er für Caylebs und Sharleyans obszöne Machtgier ein Hindernis darstellt! Abgesehen davon sprechen wir hier von Mord, Rhobair! Nicht von Mord an einem x-beliebigen Menschen, sondern an einem Prinzen, den Mutter Kirche selbst gesalbt hat - an einem Prinzen, der Gottes Eigenen Krieg gegen die Mächte der Abtrünnigen geführt hat! Mir ist bewusst, dass die Charisianer schon in Ferayd deutlich gezeigt haben, dass sie bereit sind, sogar Priester der wahren Kirche Gottes zu ermorden. Aber jetzt haben sie bewiesen, dass sie wirklich jeden zu ermorden bereit sind, sogar ohne einen Schauprozess wie seinerzeit in Ferayd. Hektor ist ein Märtyrer, ein weiterer Märtyrer im Heiligen Krieg gegen Charis und die Mächte der Finsternis! Wir sind es seinem Andenken ebenso schuldig wie Gott und Mutter Kirche, genau das jedem einzelnen Rechtgläubigen deutlich vor Augen zu führen!«
»Ich verstehe.«
Es gelang Duchairn, das Gefühl aufsteigender Übelkeit zu unterdrücken, doch leicht fiel es ihm nicht. Die Inbrunst in Clyntahns Blick ängstigte ihn. Es war fast, als würde der Großinquisitor allen Ernstes glauben, was er da sagte: Für Hektors Tod sei Charis verantwortlich. Dass er einen Mord erst ganz beiläufig anordnen konnte, um ihn dann derart zynisch auszunutzen, das war das eine. Dass er aber seinen eigenen Lügen aufsaß und sie für die Wahrheit hielt, war eine Katastrophe - vor allem, da er die Autorität der Inquisition hinter sich hatte.
»Ich finde, dem können wir alle zustimmen, Zhaspahr«, merkte Trynair ruhig an. »Ganz egal, wie Hektor gestorben ist - auf dem Schlachtfeld, eines natürlichen Todes oder niedergestreckt durch die Hand eines Attentäters -, er hat, wie Sie schon sagten, Krieg gegen die Feinde von Mutter Kirche geführt. Auch wenn ich niemals übermäßig zynisch oder berechnend wirken möchte ...«, Duchairn fragte sich, ob er der Einzige war, dem auffiel, dass die Augen des Kanzlers sich für einen winzigen Moment verfinstert hatten, gerade als sein Blick auf Clyntahn fiel, »... ist der schlichte Propaganda-Wert, diesen Punkt klar und deutlich der Öffentlichkeit darzulegen, schier unschätzbar.«
»Das war auch mein Gedanke«, meinte Clyntahn, in der Stimme nur eine Spur Selbstgefälligkeit.
Ruckartig hob Maigwair den Kopf, und Duchairn empfand beinahe schon Mitleid mit dem Captain General.
Wachst du erst jetzt auf, Allayn?, fragte er sardonisch. Na ja, besser spät als nie, wie es so schön heißt! Aber du musst unbedingt daran arbeiten, deine Gesichtszüge besser zu beherrschen.
Nach Maigwairs Blick zu schließen, hatte er endlich begriffen, was Trynair und Duchairn schon die ganze Zeit über vermutet hatten. Dass Clyntahn eigenmächtig gehandelt hatte, ohne mit seinen Kollegen darüber auch nur zu sprechen, musste für ihn noch viel erschreckender sein als für Duchairn. Schließlich war Maigwair der Verwundbarste aus der ›Vierer-Gruppe‹. Der Rest
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