Caylebs Plan - 6
gestattet mir also, Euch ein wenig von ihr zu erzählen!
Nynians Vater war Großvikar Zhoel, der, wie Ihr vielleicht wisst, zugleich mein Onkel war. Bedauerlicherweise ist ihre Mutter zwei Jahre nach Nynians Geburt verstorben. Mein Onkel muss, da bin ich sicher, zumindest irgendwelche lobenswerten Eigenschaften an sich gehabt haben. Ich spreche jetzt nicht von seinem wahrlich außergewöhnlichen Talent für Verlogenheit und Selbstsucht und natürlich auch nicht von seinem unbestreitbaren Talent dafür, die Politik im Tempel zu manipulieren. Von letzterem Talent habe ich allerdings nie eine Kostprobe erleben dürfen. Zu seinen Talenten gehörte jedenfalls nicht, seine uneheliche Tochter anzuerkennen.«
Sich nur an Großvikar Zhoel zu erinnern machte Adorai schon zornig. Ihre Lippen zitterten; ihr Blick war jetzt hart wie Stahl.
»Glücklicherweise war Onkel Zhoel damals noch nicht zum Großvikar aufgestiegen. Damals war er nur ein einfacher Vikar, ebenso wie mein Vater auch. Meine Eltern waren wütend genug auf ihn, und der Groll eines einfachen Vikars hielt sie daher nicht davon ab, Nynian aufzunehmen. Bis sie zwölf Jahre alt war, ist sie in meinem Elternhaus aufgewachsen. Meine Eltern gaben ihr übrigens ihren Namen, Nynian, weil sie ein so schönes Kind war. Als sie älter wurde, wurde sie wirklich so schön wie die Nynian der alten Mythen. Sie war in jeder Hinsicht wie eine Schwester für mich, nicht nur meine Base, obwohl nicht einmal Vater und Mutter bereit waren, die Blutsverwandtschaft zuzugeben. Es galt schließlich immer noch, die Form zu wahren.
Dann wurde Nynians Vater in das Großvikariat gewählt, und alles änderte sich. Onkel Zhoel bestand darauf, dass meine Eltern Nynian fortschickten. Dieses Mal hatten sie das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als zu gehorchen. Also haben sie Nynian in eine Klosterschule geschickt, damit sie eine anständige Erziehung erhielte. Ich glaube, sie hatten darauf gehofft, sie würde dort ihre Berufung finden und so vor meinem Onkel sicher sein. In gewisser Weise ist genau das auch eingetreten.«
Die Art und Weise, wie Adorais Lippen zuckten, verriet eindeutig Belustigung.
»Sie fand tatsächlich ihre Berufung, und ein Bédardist wie Ihr hätte gewiss immense Freude daran zu entdecken, warum sie gerade diese wählte. Ich zweifle nicht daran, dass die Umstände ihrer eigenen Geburt eine wichtige Rolle gespielt haben. Aber für simple Rache mag ich ihre Berufswahl nicht halten, auch wenn ihr Vater sich nun noch Jahrhunderte lang im Grab herumdrehen wird. Wie dem auch sei, sie hat also einen anderen Namen angenommen und ...«
» ... und so konnte Ahnzhelyk mir und den Jungs letztendlich dabei helfen, nach Charis zu entkommen«, schloss Adorai Dynnys einige Zeit später ihren Bericht. »Sie hat nun einmal viele Kontakte. Uber einen dieser Kontakte hat sie uns an Bord eines Schiffes geschmuggelt, ohne dass die Schueleriten, die nach uns suchten, wussten, wer wir in Wirklichkeit waren.«
»Das klingt für mich nach einer äußerst bemerkenswerten Frau«, bemerkte Staynair. »Ich wünschte, ich hätte irgendwann Gelegenheit, sie kennen zu lernen.«
»Meint Ihr das ernst, Euer Eminenz?«, fragte Adorai und blickte ihn neugierig an. Erzbischof Maikel nickte.
»Wenn Sie mich fragen, ob ich sie dafür verdamme, das sie sich zu diesem ... Leben berufen, wie Sie es genannt haben, gefühlt hat, dann lautet die Antwort nein«, erwiderte Staynair ruhig. »Ich will damit nicht sagen, es wäre ein Beruf, den ich mir für meine eigene Tochter wünschen würde. Aber andererseits musste meine Tochter auch nie für sich selbst sorgen, sich auf eigene Faust durchschlagen, einfach nur, weil sie eine Peinlichkeit für mein hohes, heiliges Amt dargestellt hätte. Und nach allem, was Sie mir über sie erzählt haben, ist es ihr offensichtlich gelungen, eine starke Persönlichkeit zu entwickeln und eine treue, liebevolle Freundin zu sein - und nicht nur Freundin, auch Schwester. Das alles ist ihr gelungen trotz der zahlreichen Unzulänglichkeiten ihres Vaters.«
»Ja«, bestätigte Adorai leise. »Ja, so ist es. Auch wenn ich gestehen muss, dass wir beide es ein wenig sonderbar fanden, dass sie eine Beziehung mit Erayk hatte.«
»Wie hätte das denn bitte anders sein können, Adorai?« Staynair schüttelte den Kopf. »Das Leben, das wir führen, ist nicht immer das, das wir uns selbst gewählt hätten. Aber angesichts von zwei derart außergewöhnlichen Frauen in seinem Leben
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