Caylebs Plan - 6
einmal einen guten Grund zur Treue gegeben hätte, würde sie sich doch immer auf die Seite derjenigen stellen, die, wie sie selbst von ihrem Vater, meinem Onkel und von der Kirche im Stich gelassen wurden. Aus dem Blickwinkel des Vikariats mag das schlimm sein, denn die Erziehung im Kloster seinerzeit ist bei ihr durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen. Ebenso wie ich glaubt auch sie an das, wofür die Kirche eigentlich stehen sollte, und das macht den Widerstand gegen das, was die Kirche tatsächlich ist, schlichtweg unvermeidlich. Und«, wieder blickte sie Staynair geradewegs in die Augen, »ich muss gestehen, dass es Nynian war, die mich überhaupt erst in den aktiven Widerstand gegen die innere Verderbtheit von Mutter Kirche gebracht hat, nicht etwa anders herum.«
»Aber ich verstehe immer noch nicht, warum sie all diese Informationen zusammengetragen hat, von denen Sie gesprochen haben!«
»Dessen bin ich mir bewusst. Und auch wenn Nynian es mir nicht ausdrücklich gestattet hat, will ich Euch noch mehr erzählen, damit Ihr ihre Beweggründe versteht. Aber bevor ich das tue - bitte bedenkt, Euer Eminenz: Was ich Euch jetzt erzähle, könnte Dutzende Leben kosten, sollte Clyntahn jemals davon erfahren!«
»Was Sie mir anzuvertrauen gedenken, soll mich doch in die Lage versetzen, Ihnen einen Rat zu geben, nicht wahr? Sie wollen doch immer noch wissen, ob Sie Nynians Angebot Ihrer Majestät, der Kaiserin, unterbreiten sollen«, erkundigte sich Staynair. Adorai Dynnys nickte. »In diesem Fall, Adorai, fällt das eindeutig unter das Beichtgeheimnis. Ohne Ihre ausdrückliche Erlaubnis sind meine Lippen in dieser Angelegenheit versiegelt.«
»Ich danke Euch, Euer Eminenz.«
Sie holte tief Luft und straffte die Schultern.
»Es gibt in den Reihen der Kirche, Euer Eminenz, auf höchster Ebene, eine Gruppe von Männern, die sich des Missbrauchs, der rings um sie stattfindet, ebenso bewusst sind wie jeder hier in Charis. Nicht einmal Euch gegenüber werde ich die Namen dieser Männer nennen, solange mir nicht jeder Einzelne von ihnen dies gestattet hat. Was das betrifft, bin ich mir recht sicher, nur einen kleinen Teil dieser Gruppe namentlich zu kennen. Aber Ahnzhelyk - Nynian - ist bereits seit Jahrzehnten eine ihrer wichtigsten Agenten. Sie nennen sich einfach nur ›der Kreis‹, und ihr Ziel ist es ...«
.VII.
Talbor-Pass, Herzogtum Manchyr,
Corisande-Bund
Grimmig schaute Sir Koryn Gahrvai zu, wie die Verwundeten auf die Nachhut zuhumpelten. Viele von ihnen nutzten ihre Waffen als improvisierte Krücken. Hier und da lehnte sich ein Soldat gegen die Schulter eines Kameraden - manchmal waren beide verwundet und stützten sich gegenseitig. Sanitäter mit Krankentragen trugen nur allzu viele, die zu schwer verwundet waren, um auch nur zu humpeln. Es gibt einfach nichts Schlimmeres als eine verlorene Schlacht, dachte Gahrvai. Es war nicht allein die Niederlage. Gahrvai quälte das Wissen, dass unter seinem Kommando viele, ach, so viele Männer gefallen oder verwundet worden waren - und das für nichts und wieder nichts!
Im Gegensatz zu vielen anderen Kommandeuren legte Gahrvai immens viel Wert darauf, die Verwundeten so oft zu besuchen, wie sich das ermöglichen ließ. Viel zu viele von ihnen würden sterben, trotz aller Bemühungen der Brüder vom Pasquale-Orden. Gahrvai fand, er sei das seinen Männern schuldig. Er fand, er müsse ihnen wenigstens sagen, wie dankbar er ihnen für alles war, was sie geleistet und ertragen hätten. Zugleich sorgten seine Besuche in den Lazaretten auch dafür, dass er sich stets bewusst war, wie hoch der Preis für sein Scheitern war.
Eigentlich ist das nicht fair!, beharrte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Es ist doch nicht deine Schuld, Koryn, dass die Charisianer über eine Artillerie mit größerer Reichweite verfügen ... und dass sie diese verwünschten Gewehre haben!
Nein, meldete sich eine andere Stimme zu Wort, aber es ist sehr wohl deine Schuld, dass du zugelassen hast, die gesamte Armee im Talbor-Pass einzupferchen wie Schafe vor dem Schlachthaus.
Gahrvai biss die Zähne zusammen, heiß glühte Zorn in seinen Adern. Das Einzige, was ihm nach der Niederlage zu tun blieb und ihn mit zumindest ein wenig Befriedigung zu erfüllen verstand, war gewesen, Baron Barcor seines Postens zu entheben. Die Befriedigung hielt nicht lange an. Denn Gahrvai konnte es sich selbst nicht vergeben, Barcor nicht schon viel früher abgesetzt zu haben - am besten gleich, als er davon
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