Caylebs Plan - 6
herab. Dank Merlins Berichten wusste Cayleb, dass Gahrvai darauf bestanden hatte, nicht nur das Fußvolk, sondern auch die Offiziere auf halbe Ration zu setzen, sich selbst eingeschlossen. Genau das sah man dem General nun auch an.
»Ich danke Euch dafür, Euch zu einem Gespräch mit mir bereit erklärt zu haben. Ich danke Euch ebenfalls, dass Ihr mir freies Geleit durch Eure Linie gewährt habt, Euer Majestät«, begann Gahrvai steif; bei all der Förmlichkeit wirkte seine Sprache beinahe schon gestelzt.
»General«, gab Cayleb zurück, »es bereitet mir wirklich keine Freude, Soldaten zu töten. Und das gilt erst recht für tapfere Soldaten, die ohne eigene Schuld schlichtweg nicht in der Lage sind, sich effektiv zur Wehr zu setzen. Wenn etwas von dem, was wir hier und heute sagen oder tun, dazu führt, dass einige dieser Männer ihr Leben nicht verlieren, dann erachte ich diesen Tag als sinnvoll genutzt.«
Gahrvai blickte dem Kaiser in die Augen. Ein klein wenig schien der General sich zu entspannen. Auch das entging Cayleb nicht. Er fragte sich, wie viel von Gahrvais Anspannung auf die Geschichten zurückzuführen waren, die man sich - mit zunehmender Übertreibung natürlich - über das Ultimatum erzählte, das er dem Grafen Thirsk nach der Schlacht in der Klippenstraße gestellt hatte.
»Nach diesen Euren Worten, Euer Majestät, hat es wohl wenig Sinn, so zu tun, als befinde sich meine Armee nicht in einer verzweifelten Lage. Ich vermag noch einige Tage lang die Stellung zu halten. Und die Männer unter meinem Kommando werden auch einen weiteren Angriff unternehmen, wenn ich das von ihnen verlange. Aber Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass weitere Angriffe letztendlich nichts ändern werden. Wäre ich der Ansicht, weiterer Widerstand käme meinem Prinzen oder Corisande zugute, so würde ich weiteren Widerstand leisten! Aber unter den gegebenen Umständen muss ich Euch nach den Bedingungen fragen, unter denen Ihr meinen Männern eine ehrenvolle Kapitulation zuzugestehen bereit seid.«
»Ich kann nicht behaupten, diese Frage käme überraschend, Sir Koryn.« Cayleb klang beinahe schon mitfühlend. »Meine Bedingungen sind recht schlicht: Ich verlange, dass Ihre Männer ihre Waffen abgeben. Ich verlange die Aushändigung sämtlicher Artillerie, des gesamten Trosses und aller noch lebenden Lasttiere. Offizieren wird es gestattet sein, ihr Schwert zu behalten, und jeder Einzelne - ob Offizier oder einfacher Soldat -, der belegen kann, dass sein Pferd tatsächlich sein Eigentum ist, wird es behalten dürfen.
Ich bedauere, dass ich weder Ihre Offiziere noch einen einzigen Ihrer Männer auf Ehrenwort die Freiheit schenken kann«, setzte Cayleb dann noch hinzu. Gahrvais Augen verengten sich, und seine Kiefermuskel verspannten sich sichtlich. Cayleb fuhr fort: »Unter anderen Umständen würde ich mich durchaus mit einem Ehrenwort zufrieden geben, Sir Koryn. Wenngleich wir einander als Feinde gegenüberstehen, würde ich doch niemals an Ihrer Aufrichtigkeit oder Ihrer Ehre zweifeln. Aber wie Sie ja vielleicht schon gehört haben ...«, Cayleb verzog angespannt die Lippen zu einem Lächeln, das seine Zähne aufblitzen ließ, » ... wurden Ihre Majestät, die Kaiserin, und ich durch Großvikar Erek förmlich exkommuniziert. Nun, eigentlich hat die ›Vierer-Gruppe‹ die Exkommunizierung gewollt, und deren Marionette auf Langhornes Thron hat sie bloß verkündet. Aber letztendlich läuft das ja auf das Gleiche hinaus.«
Der beißende Sarkasmus in Caylebs letztem Satz ließ Gahrvai gequält das Gesicht verziehen, und der Kaiser lachte leise.
»Würde ich auch nur einen Moment lang glauben, Erek spreche tatsächlich für Gott, würde ich mir ernstlich Sorgen machen, General. Aber so, wie es in Wahrheit steht, sehe ich darin eher eine Art Auszeichnung. Mein Vater hat mir einmal gesagt, es sei zwar richtig, dass man viel über einen Mann erfahre, wenn man sich seine Freunde anschaue. Aber, so sagte er, man erfahre noch viel mehr über ihn, wenn man einen Blick auf seine Feinde werfe.
Das heißt aber, es würde Sie in eine recht knifflige Lage bringen, wenn ich Ihnen auf Ihr Ehrenwort hin die Freiheit schenkte. Für die Tempelgetreuen hätten Sie sich damit des Verkehrs mit Ketzern schuldig gemacht - mindestens. Und zugleich wäre auch jedes Ehrenwort, dass Sie mir geben, für eben diese Tempelgetreuen wertlos. Denn niemand kann einer Person einen bindenden Eid schwören, die exkommuniziert wurde. Hätten Sie also die
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