Caylebs Plan - 6
pflichtete sie ihm bei. Dann wandte sie sich wieder Gairaht zu. »Wie dem auch sei, Wyllys: In diesem Kloster gelten nun einmal gewisse Regeln. Ich habe nicht die Absicht, mich dagegen aufzulehnen.«
»Und wie lange ist es schon her, dass Ihr vollkommen allein wart, bis Ihr Euch zu Bett begeben habt?«, wollte der Kommandeur ihrer Wachabordnung wissen.
»Wenn Sie es genau wissen wollen: ich glaube nicht, dass ich jemals ganz allein war, bis ich mich zu Bett begeben hatte ... außer bei Einkehrtagen. Gehörte ich nun zu den Menschen, die sich gern selbst wiederholen, müsste ich jetzt ein weiteres Mal herausstreichen, dass es bei dieser Reise um genau das geht, nicht wahr?«
»Und Majestät erwarten nun von mir auch noch zu glauben, Sairah höre das mit Freuden?«, erkundigte sich der Captain skeptisch.
»Mir ist bewusst, dass dies zu glauben Ihnen schwerfällt, Wyllys. Aber Sairah hat gelernt, meine Entscheidungen hinzunehmen. Ich sagte schon, ich gehörte nicht zu den Menschen, die sich gern wiederholen. Denn dann müsste ich jetzt hinzufügen: im Gegensatz zu gewissen Offizieren der Imperial Guard! Sairah weiß, dass ich mich hin und wieder bewusst dafür entscheide, meine hochherrschaftliche Würde nicht weiter zu beachten. Und so erstaunlich das auch sein mag: Sie streitet sich deswegen nicht mit mir!«
Vielleicht murmelte Gairaht noch einmal leisen Protest, dann aber so leise, dass Sharleyan diesen guten Gewissens überhören durfte. Jedenfalls stieß er sie nicht direkt mit der Nase darauf, dass sie gelogen hatte. Sairah Hahlmyn, Sharleyans Zofe, hatte die Entscheidung ihrer Herrin, sie an Bord von HMS Dancer zurückzulassen, zwar wortlos hingenommen. Aber natürlich hatte ihr Mienenspiel ausreichend deutlich gemacht, was sie eigentlich darüber dachte. Sairah hätte vermutlich jederzeit als Schauspielerin ihren Lebensunterhalt bestreiten können - vorausgesetzt, es gelänge ihr, der Versuchung zu widerstehen, maßlos zu übertreiben. Angesichts der Vorstellung, die die Zofe an diesem Morgen abgeliefert hatte, hielt Sharleyan Letzteres für unwahrscheinlich.
»Ich wünschte, es wäre wenigstens Lady Mairah hier!«, nörgelte der Captain dann doch noch.
»Wäre sie nicht bei ihrem letzten Ausflug mit Onkel Byrtrym vom Pferd gefallen und hätte sich das Bein gebrochen, dann wäre das auch so«, erwiderte Sharleyan.
»Ihr hättet ja«, setzte er an, »eine andere Eurer Hofdamen fragen kön ...«
»Alles ist gut, Wyllys!«, fiel ihm Sharleyan mit fester Stimme ins Wort. »Aber ich habe nicht die Absicht, die ganze Nacht hindurch das mit Ihnen zu diskutieren.«
Er warf ihr einen letzten, missbilligenden Blick zu, dann holte er tief Luft, pustete sich durch den Schnurrbart und nickte.
In echter Zuneigung zu diesem Mann schüttelte die Kaiserin den Kopf. Wie die meisten anderen Leibgardisten - und natürlich auch Sairah - achtete Gairaht deutlich mehr darauf, was Sharleyans königlicher Würde geziemte, als sie selbst. Vielleicht war das ja so, weil es schließlich um die Würde der Königin ging - nein, mittlerweile Kaiserin -, nicht etwa um die der Gardisten. Sharleyan hatte eines schon sehr früh lernen müssen: Sie konnte es sich politisch nicht leisten, ihre Würde durch tatsächliche oder anscheinende Herabsetzung anderer Schaden nehmen zu lassen. Was sie selbst für herabsetzend hielt, spielte keine Rolle. Der äußere Anschein besaß in einer Welt voller politischen Kalküls enormes Gewicht. Doch unter den gegebenen Umständen mochte auch von Vorteil sein, im Ruf der Bescheidenheit und Demut zu stehen. Die Gelegenheit, die Rolle, die sie als Königin oder Kaiserin stets zu spielen hatte, einmal hinter sich zu lassen, und sei es auch nur für kurze Zeit, war im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar. Das war einer der Gründe, weswegen sie sich so gern zu religiösen Einkehrtagen zurückzog. Schon seit dem Tag, an dem sie den Thron von Chisholm bestiegen hatte, hatte sie diese Rückzugsmöglichkeit genutzt. Die Gelegenheit, die alltäglichen, weltlichen Anforderungen hinter sich zu lassen, die mit der Krone einhergingen, und stattdessen ein wenig Zeit darauf zu verwenden, darüber nachzudenken, was ihre Seele eigentlich von ihr forderte, war Sharleyan stets sehr gelegen gekommen. Die Möglichkeit, nicht ständig darauf zu beharren, ihrer Würde angemessen behandelt zu werden, so kurz es auch währen mochte, war beinahe ebenso willkommen.
Gairaht und Seahamper wussten das ebenso gut wie sie. In der
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