Caylebs Plan - 6
gewesen, wäre Hahskyn bereit gewesen, Sharleyan notfalls persönlich und mit Gewalt dorthin zu schaffen. Das Risiko, ihr Missfallen zu erregen, zählte schließlich nur, wenn sie und er den Angriff überlebten. Bedauerlicherweise gab es keinen sichereren Ort im Kloster als das Gästehaus.
Positiv war nur, dass das Gästehaus recht weit von der Klostermauer entfernt lag. Wer dieses Gebäude angreifen wollte, musste zunächst das gepflegte Gelände überqueren. Es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken, und es gab auch keinerlei Deckung - auch wenn die schlechte Sicht, die dieses Unwetter mit sich brachte, diesen Verteidigungsvorteil beinahe schon wieder aufhob.
Während der Atempause, in der die Gegenseite sich offenkundig neu gruppierte, gaben Hahskyn und Seahamper ihr Bestes, ihre eigene Lage zu verbessern. Sankt Agtha hatte nur wenig zu bieten, was sie nutzen konnten. Wenigstens hatte man die drei Lastkarren der Schwestern und die beiden Wagen aus den Stallungen geschleppt und umgekippt. Sie boten eine behelfsmäßige Deckung, aus der heraus man die Eingangstür des Gästehauses gut im Blick behalten konnte; ein kleines Nebengebäude nahe den Stallungen hatte man kurzerhand eingerissen. Die losen Steine, aus denen die Wände bestanden hatten, reichten nicht aus, um daraus eine Art Brustwehr zu bauen. Doch Seahamper hatte dafür gesorgt, dass die einzelnen Steine rings um die Stellung der Gardisten verstreut wurden. Richtige Krähenfüße wären hilfreicher gewesen. In der Dunkelheit aber würden die Steine - ein schlecht zu sehendes und unerwartetes Hindernis - die heranstürmenden Angreifer gewiss zum Stolpern bringen.
Nach diesen Vorbereitungen hatten die wenigen überlebenden Gardisten nichts anderes mehr zu tun als zu warten. Sie alle waren erfahrene Kämpfer, die sich ebenso gut wie Hahskyn oder Seahamper ausrechnen konnten, wie ihre Aussichten standen. Sie wussten, was letztendlich geschehen würde, wenn nur genügend Angreifer den Ansturm gegen das Gästehaus immer weiter fortsetzten. Sie alle dachten über die junge Frau nach, die sich hinter ihren Reihen befand.
Kaiserin Sharleyans Blick flog zu Edwyrd Seahamper, als dieser das schlicht eingerichtete, nur matt beleuchtete Schlafgemach betrat. Wasser troff von Harnisch und Helm ihrer persönlichen Leibwache; die Tropfen erzeugten ein feines Muster auf dem Steinfußboden. Sharleyan erkannte in seinem Blick sofort die Verzweiflung, die nur immense Disziplin zurückzuhalten vermochte.
»Wie schlimm sieht es aus, Edwyrd?«, fragte sie leise.
»Viel schlimmer kann es nicht mehr werden, Eure Majestät.« Sein Gesichtsausdruck war grimmig. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Captain Gairaht tot ist.« Sharleyan stieß einen kurzen Schmerzenslaut aus, doch Überraschung lag nicht darin. Der Sergeant sprach ungerührt weiter. »Das Kommando hat jetzt Lieutenant Hahskyn. Aber wir haben nur noch fünfundzwanzig Mann, und wir wissen nicht, wie vielen wir hier gegenüberstehen oder wie groß die Verluste sind, die wir denen schon beigebracht haben. Aber es ist ganz offenkundig, dass sie genau gewusst haben, wie viele von uns hier sind. Wenn sie den Ansturm fortsetzen, dann weil sie glauben, dass sie stark genug sind, diesen Kampf auch zu gewinnen.«
Sharleyan nickte. Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben, und Seahamper umschloss mit beiden Händen ihre Rechte.
»Ich weiß nicht, ob wir sie abwehren können.« Seine Stimme klang sehr rau; es lag eindeutig persönliche Sorge darin. Er musste sich dazu zwingen, das auszusprechen, was er mehr als alles andere in der Welt fürchtete. »Wenn wir es nicht schaffen ...«
Er stockte. Er biss die Zähne zusammen. Sharleyan drückte ihm die Hand.
»Wenn Sie es nicht schaffen«, sagte sie zu ihm, »dann nur, weil kein Sterblicher es hätte schaffen können. Das weiß ich, Edwyrd. Ich habe nie daran gezweifelt.«
Er presste die Lippen noch fester zusammen und atmete dann tief durch.
»Wir wissen nicht, was sie eigentlich wollen, Eure Majestät - zumindest wissen wir es nicht genau. Sicher, wir wissen, dass sie hinter Euch her sind. Aber vielleicht legen sie es darauf an, Euch in ihre Gewalt zu bringen, nicht Euch zu töten.«
»Glauben Sie das wirklich, Edwyrd?«, fragte Sharleyan mit sanfter Stimme nach. »Oder versuchen Sie mich nur zu beruhigen?«
»Ich halte es für durchaus möglich«, antwortete er ihr mit ruhiger Stimme. Sein Blick verriet ihr, dass er die Wahrheit sagte. »Ich halte es sogar für
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