Caylebs Plan - 6
erleichtert gewesen zu sehen, dass Cayleb sich für die Abwesenheit seines Leibgardisten augenblicklich eine Erklärung zurechtgelegt hatte. Merlin hatte zwar darauf gebaut, dass der Kaiser genau das auch tun würde. Und dennoch: Wäre Merlin immer noch ein Wesen aus Fleisch und Blut, hätte er den Atem angehalten, als er miterlebte, wie Ahstyn zu Cayleb gelaufen war, um dem Kaiser das Fehlen des Seijin zu melden. Glücklicherweise hatte Daikyn (der ebenfalls von den ›Visionen‹ Seijin Merlins wusste) dafür gesorgt, dass der Kaiser gänzlich wach war, bevor er zuließ, dass Ahstyn ihm erklärte, warum er ihn überhaupt geweckt habe. Zudem hatte der Lieutenant offenkundig bereits damit gerechnet, Cayleb werde wissen, wo Merlin sich aufhalte.
Trotzdem ...
»Setzt Euch, Cayleb!«, sagte er und deutete auf einen der Klappstühle neben dem Kartentisch.
»Worauf genau wollt Ihr mich eigentlich hier vorbereiten, Merlin?« Cayleb verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Doch er nahm tatsächlich in dem Stuhl Platz, auf den Merlin gewiesen hatte.
»Das werde ich Euch gleich erzählen. Aber bevor ich das tue, solltet Ihr Euch unbedingt zwei Dinge einprägen: Erstens müsst Ihr im Hinterkopf behalten, dass ich doch noch rechtzeitig eingetroffen bin. Und zweitens müsst Ihr Euch darauf vorbereiten, die beste schauspielerische Leistung Eures Lebens abzuliefern.«
»Merlin, allmählich macht Ihr mir wirklich Angst!«, verriet Cayleb mit bemerkenswerter Offenheit.
»Das war nicht meine Absicht. Aber ich kenne Euch, Cayleb. Wenn ich Euch erzähle, wo ich war, und warum, werdet Ihr das nicht gerade mit ... übermäßiger Gelassenheit aufnehmen. Und es wird Euch nicht leichtfallen, so zu tun, als hätte ich Euch nichts davon erzählt. Aber genau das werdet Ihr tun müssen!«
»Würdet Ihr jetzt bitte damit aufhören?« Cayleb verzog das Gesicht. »Wenn Ihr meint, dass das wirklich nötig ist, könnt Ihr mich ja, nachdem Ihr mir erzählt habt, worum es hier eigentlich geht, notfalls einfach auf diesem Stuhl hier festnageln, um zu verhindern, dass ich wie eine kopflose Echse durch das ganze Lager laufe! Aber wenn Ihr nicht bald loslegt und mir endlich erklärt, wo zur Hölle Ihr gewesen seid, dann seht Ihr gleich eine verdammt überzeugende Darbietung eines Vulkanausbruchs!«
Kurz huschte ein Lächeln über Merlins Gesicht, dann straffte er erneut die Schultern.
»Also gut, Cayleb. Ich erzähl's Euch.
Gestern Abend bin ich zusammen mit Owl die Routineaufnahmen der SNARCs von Charis durchgegangen. Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, etwas sonderlich Bemerkenswertes zu finden, aber da hatte ich mich getäuscht. In Wirklichkeit nämlich ...«
Es war nicht erforderlich, Cayleb auf dem Stuhl festzunageln. Nicht ganz. Aber es kam dem schon sehr, sehr nahe.
»Mein Gott!« Das Gesicht des Kaisers war aschfahl. »Mein Gott! Seid Ihr auch wirklich sicher, dass es ihr gut geht, Merlin?!«
»Absolut sicher«, erwiderte Merlin in beruhigendem Tonfall. »Ich habe sie während des ganzen Rückwegs nach Corisande nicht aus den Augen gelassen, und Seahamper ist ja nun wirklich auf Draht. Er war die ganze Zeit über da und hat Sharleyan nicht einen Moment aus den Augen gelassen, nicht einmal, als er eine der Nonnen zur Bucht hinuntergeschickt hat. Und Captain Hywyt hat persönlich zwei vollständige Kompanien Marines zum Kloster geführt, um Eure Frau Gemahlin dort abzuholen. Sie ist jetzt an Bord der Dancer, das Schiff auf hoher See und auf dem Rückweg nach Tellesberg. Hywyt und Seahamper hüten Ihre Majestät wie zwei Große Drachen ihr Jungtier.«
»Dafür sei Gott gedankt!«, murmelte Cayleb inbrünstig und schloss die Augen. Dann straffte er sich, stand auf und legte Merlin die Hände auf die Schultern.
»Und auch Euch habe ich zu danken, Merlin Athrawes«, sagte er leise und blickte in Merlins dunkelblaue Augen. »Ich schulde Euch schon jetzt mehr, als ich jemals zurückzahlen zu können auch nur erhoffen dürfte. Also ...« Er schüttelte den Kopf. »Würde es Euch sehr viel ausmachen, wenn wir unseren ersten Sohn Merlin nennen? Oder ...«, plötzlich musste er grinsen, »unsere erste Tochter Nimue?«
»Beide Namen würden wohl jede Menge Leute in Erstaunen versetzen - aber es wäre mir eine Ehre.«
»Gut!«
Kräftig drückte Cayleb ihm die Schultern. Dann trat er einen Schritt zurück und atmete tief durch.
»Ich verstehe jetzt, warum Ihr sagtet, ich müsse gut schauspielern. Wie soll denn jemand so tun, als
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