Cedars Hollow (German Edition)
beängstigend ruhiger Stimme.
Ich ließ mich nicht zweimal bitten, denn jetzt kehrte meine innere Unruhe zurück. Erst in diesem Moment begriff ich, was ich hier e i gentlich tat. Corvus war gefährlich. Ich zweifelte nicht daran, dass er in der Lage war, zu töten. Hastig machte ich auf dem Absatz kehrt, und obwohl ich fürchtete, dass er mich von hinten angreifen könnte, blickte ich mich nicht um.
Ich war schon fast um die nächste Straßenbiegung ve r schwunden und darüber unglaublich erleichtert, als ich erneut seine Stimme hö r te.
„Halte dich von Dave fern“, rief er mir hinterher.
Ich drehte mich noch einmal zu ihm um. Seine Miene wirkte starr.
„Warum?“
Seine Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen. „Weil es be s ser für dich ist.“ Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und verschwand im Haus.
Verwirrt machte ich mich auf den Heimweg. Ich begriff, dass ich in etwas hineingeraten war, das ich nicht hätte mitbeko m men dürfen. Aber ich wusste auch, dass ich mich jetzt nicht mehr aus dieser Sache heraushalten konnte. Irgendwie war ich Teil des Geschehens gewo r den.
Freund oder Feind
I ch wollte Corvus’ Ratschlag nicht befolgen und Dave aus dem Weg gehen, und selbst, wenn ich gewollt hätte, wäre es mir unmö g lich gewesen. Dave wartete fast jeden Tag nach der Schule auf mich. U n sere Spaziergänge durch die Innenstadt wurden zu einer Art Rit u al, und schon nach ein paar Tagen wollte ich sie nicht mehr missen. Mit Dave konnte ich über alles reden; ganz egal, wie absurd meine Sorgen im Vergleich zu se i nen waren, er hörte mir immer zu, war immer verständnisvoll. Und obwohl er mir manchmal ein Rätsel war und ich oft nicht schlau aus ihm wurde, begann ich mich an seine Anwese n heit zu gewöhnen und ertappte mich immer häufiger dabei, wie ich mich auf unsere Treffen freute.
Ich lernte Dave immer besser kennen, genauso wie er immer mehr über mich erfuhr. Ich merkte zwar, dass er nicht gerne über sich selbst redete und dass er ständig versuchte, nicht allzu viel von seiner Persönlichkeit preiszugeben, aber ich war eine gute Beobachterin. Daves häufige Stimmungsschwankungen waren das wohl markanteste Merkmal seiner Person. Häufig war er still und nachdenklich, dann aber überraschte er mich im nächsten Augenblick mit einem fröhl i chen Lachen und seinem ungebrochenen Enthusiasmus. A n fangs waren diese Ausbrüche für mich ungewohnt, aber nach einer Weile gewöhnte ich mich daran und nahm sie als einen Teil von Dave hin.
Ich sprach mit Dave über meinen Dad, ich erzählte ihm von me i ner Mom und meinen Mitschülern, die sich mir gegenüber so seltsam benahmen. Er hörte mir immer zu, ohne mich zu unterbrechen, und wenn ich schließlich keine Worte mehr fand, fand er immer die ric h tigen, um mich aufzumuntern.
Und doch wurde mir zunehmend klar, dass diese Freun d schaft für Dave nicht dasselbe war wie für mich. Es lag in seinen kleinen Ge s ten, der Art, wie er mir das Haar aus der Stirn strich oder meine Wangen mit seinen Fingerspitzen streifte, es lag in seinem Blick und seinem Lächeln. Ich versuchte mir ei n zureden, dass er genauso wie ich einfach unsere Gespräche genoss, dass er nicht mehr wollte, aber insgeheim wusste ich, dass es nicht ewig so weitergehen würde. Jedes unserer Treffen hätte einen neuen Anfang oder ein Ende bedeuten können; ich hatte Angst davor, dass er sich nicht mehr mit mir würde treffen wollen, wenn er begriff, dass ich nicht dasselbe von ihm wol l te wie er von mir. Würde er aufgeben und unsere Freundschaft bee n den? Oder würde er weiterhin an unseren Treffen festhalten?
Abgesehen von meinen inneren Konflikten verlief die Woche e r eignislos. Corvus lief mir nicht wieder über den Weg, doch ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Ich machte mir pausenlos Sorgen um Dave. Dass Corvus sich nicht mehr blicken ließ, bedeutete möglicherweise, dass er aufgegeben hatte, aber eigen t lich glaubte ich nicht an diese Theorie. Viel wahrscheinlicher war, dass er nur auf einen geeigneten Moment wartete, um Dave ausz u schalten. Warum er ihn so hasste, wusste ich immer noch nicht.
Was sollte ich tun? Ich konnte Dave nicht allein lassen, musste ve r suchen, ihm irgendwie zu helfen. Gleichzeitig ging mir aber Corvus’ Warnung nicht mehr aus dem Kopf. Wieso hatte er gesagt, ich solle mich von Dave fernhalten? Was hatte er damit bezweckt?
Joanne kam am Mittwoch wegen Krankheit nicht zur
Weitere Kostenlose Bücher