Celinas Tochter
kümmerte sich um ihren Vater, seit ihre Mutter vor einigen Jahren gestorben war. Sie war ledig und nicht mehr ganz jung, hatte aber auch nie andere Ambitionen gezeigt, als einen Haushalt zu führen. Nachdem sie weder Mann noch Kinder hatte, wachte sie mit Argusaugen über ihren Vater.
Sie war nie eine Schönheit gewesen, und das Alter hatte an
dieser bedauerlichen Tatsache auch nichts geändert. Ihre körperlichen Vorzüge taktvoll zu umschreiben wäre sinnlos, sie war und blieb schlicht und einfach hausbacken. Trotzdem genoà sie in Purcell hohes Ansehen.
Sie stand auf der Mitgliederliste jedes wichtigen Damenvereins der Stadt. Sie unterrichtete die Mädchen in der Sonntagsschule der First Methodist Church, besuchte treu und brav jeden Samstagmorgen die Bewohner des Golden-Age-Altersheims und spielte dienstags und donnerstags Bridge. Ihr Terminkalender war immer voll. Sie kleidete sich zwar teuer, aber viel zu spieÃig für ihr Alter.
Als Muster an Takt und Etikette hatte sie heiteren Mutes allerhand Enttäuschungen mit Stil und bewundernswerter Fassung überwunden. Jedermann war fest überzeugt von ihrer Ausgeglichenheit.
Sie irrten.
Richter Wallace, ein Spatz von einem Mann, zog seinen schweren Mantel über und ging zur Tür. »Angus hat mich gestern angerufen.«
»Was wollte er denn?« fragte Stacey und zog ihrem Vater den Kragen hoch, um seine Ohren vorm Wind zu schützen.
»Celina Gaithers Tochter ist gestern aufgetaucht.«
Staceys rege Hände erstarrten, und sie trat einen Schritt zurück. Ihre Blicke begegneten sich. »Celina Gaithers Tochter?« Die Stimme aus ihren aschfahlen Lippen klang dünn und schrill.
»Erinnerst du dich an das Baby? Alexandra hieà sie, glaube ich.«
»Ja, ich erinnere mich, Alexandra«, wiederholte Stacey mit abwesendem Blick. »Sie ist hier in Purcell?«
»Seit gestern â und jetzt richtig erwachsen.«
»Warum hast du mir das nicht gestern abend erzählt, als ich nach Hause kam?«
»Du bist erst so spät von diesem Chiliessen gekommen, und ich war schon im Bett. Ich hab gewuÃt, daà du auch müde bist, und wollte dich nicht damit belästigen.«
Stacey wandte sich ab und machte sich daran, die leeren Bonbonpapiere aus der Schale zu zupfen. Ihr Vater hatte die ärgerliche Angewohnheit, die leeren Hüllen liegenzulassen. »Warum sollte mich das plötzliche Auftauchen von Celinas Tochter nervös machen?«
»Dazu besteht kein Anlaë, sagte der Richter, froh, daà er seiner Tochter nicht in die Augen sehen muÃte. »Andererseits hat es wahrscheinlich die ganze verdammte Stadt in Aufregung versetzt.«
Stacey hob den Kopf. Ihre Finger zerfledderten das Zellophan. »Warum das?«
Der Richter unterdrückte ein Rülpsen mit einer Faust vorm Mund. »Sie ist prosecutor bei der Staatsanwaltschaft von Austin.«
»Celinas Tochter?« rief Stacey erstaunt.
»Kaum zu fassen, was? Wer hätte gedacht, daà sie sich so gut macht, wo doch Merle Graham sie an Eltern Statt aufgezogen hat.«
»Du hast immer noch nicht gesagt, warum sie zurück nach Purcell gekommen ist. Ein Besuch?«
Der Richter schüttelte den Kopf. »Geschäftlich, fürchte ich.«
»Hat es etwas mit der Glücksspiellizenz für die Mintons zu tun?«
Er wandte sich ab und nestelte nervös an seinem Mantelknopf herum. »Nein, äh, sie hat das Okay vom Staatsanwalt, die Untersuchung des Mordes an ihrer Mutter wieder aufzurollen.«
Staceys knochiger Brustkorb fiel noch weiter ein. Sie tastete mit einer Hand hinter sich, suchte nach einem Halt für den Fall, daà sie zusammenbrach.
Der Richter tat so, als hätte er ihre Betroffenheit nicht bemerkt. »Sie hat veranlaÃt, daà Pat Chastain ein Treffen mit den Mintons und Reede Lambert arrangierte. Laut Angus hat sie verkündet, sie würde herausfinden, wer von ihnen ihre Mutter umgebracht hätte.«
»Was? Ist sie verrückt?«
»Laut Angus nicht. Er sagt, sie hat einen Verstand wie ein Rasiermesser, ist im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und meint es todernst.« Stacey sank auf die willkommene Sofalehne und legte eine schmale Hand in ihren Nacken. »Wie hat Angus reagiert?«
»Du kennst doch Angus. Er läÃt sich nicht unterkriegen. Die Geschichte hat ihn anscheinend amüsiert. Er hat gesagt, es gäbe keinen Grund, besorgt zu
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