Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
schweigenden Wald. Wenn es im Unterholz raschelte oder ein Ast knarrte, zuckten nicht nur die jungen Rekruten zusammen.
Auch Lucius’ Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Um sich zu beruhigen, nutzte er die Möglichkeit eines Centurios, neben der Kolonne auf und ab zu gehen, wodurch er einen besseren Überblick hatte als seine Männer. Nicht, dass es etwas zu sehen gab. Der Wald war außerhalb des Weges scheinbar undurchdringlich.
Alle atmeten erleichtert auf, als sie ihn hinter sich hatten und auf freiem Feld ihr Lager aufschlagen konnten.
„Hast du gehört, Marcellus?“, fragte Drusillus an diesem Abend. „Einer unserer Kundschafter ist heute fast von Varus’ prätorianischer Wache erschlagen worden. Der Trottel brach neben dem Legaten plötzlich aus dem Unterholz, um Meldung zu machen. Die Pferde scheuten, die Männer gerieten in Panik und Varus bekam fast einen Herzschlag!“ Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Wenigstens weiß der Legat jetzt, wie es den einfachen Milites hier in diesem Wald ergeht!“
„Ja, ja.“ Lucius versuchte sich an ein Zitat von Plautus zu erinnern. Er hatte es immer schon einmal unbedingt anbringen wollen.
„Ach ja! Die Infanterie, arme Schlucker!“, deklamierte er stolz.
Drusillus sah ihn verständnislos an und ging dann kopfschüttelnd weiter.
„Wenigstens bin ich nicht der Einzige, dem dieser Wald Angst macht!“ Lucius sah seinem Stellvertreter nachdenklich hinterher.
„
Pergite!
“ Am nächsten Morgen setzte sich die Legion wieder in Bewegung und der Weg führte sie bald in den nächsten Wald hinein. Obwohl der Primipilus versichert hatte, dass die Umgebung ausgekundschaftet würde und die Hilfstruppen die Flanke sicherten, befiel die Männer erneut Beklemmung. Sie stammten aus Norditalien und Südgallien, wo die Landschaften offen und die Wälder licht- und sonnendurchflutet waren. Diese finsteren und dunklen Wälder machten ihnen Angst, selbst denen, die schon seit Jahren mit den Adlern in Gallien standen. Canidius befahl den Legionären kurzerhand, zu singen.
„Dann kam der Tag, da kehrte ich zurück zu ihr,
sie trug für mich die Schleife und ich wusste, ich bleib’ hier.
Und als dann die Legionen weiterzogen,
als sie weiterzogen, da war das nicht mit mir.
NICHT MIT MIR, als die Legionen weiterzogen
da war das nicht mit mir.“
„Wir müssen etwas gegen die Angst der Männer vor dem Wald unternehmen!“, entschied Varus bei der Abendbesprechung. „Hier ist weit und breit mit keinem Feind zu rechnen, aber die Männer werden immer verzagter!“
„Wenn sie einen Feind vor sich sähen und ihn bekämpfen könnten, würden sie anders reagieren!“, stimmte Canidius dem Legaten mit angestrengter Stimme zu.
„Geht es dir nicht gut, Primipilus?“, fragte Varus, dem das Aussehen seines obersten Centurios überhaupt nicht gefiel. Bleich, mit einem Stich Grün im Gesicht stand er an den Tisch geklammert.
„Hab’ was Schlechtes gegessen!“, nuschelte der Centurio undeutlich.
„Mein Arzt soll dir ein Abführmittel geben!“, wies Varus an und wandte sich dann wieder seinen anderen Offizieren zu.
„Wir sollten einzelne Centurien mit den Auxilia losschicken, einfach, damit die Männer sich an das Gelände gewöhnen können.“
„Du willst die Legion zersplittern?“, fragte Quirinius entsetzt. „Legionäre werden immer nur im geschlossenen Verband eingesetzt!“
Varus winkte ab: „Es ist mit keiner richtigen Schlacht zu rechnen, nur mit kleinen Scharmützeln, wenn überhaupt, und die Männer brauchen Kampferfahrung, sowohl im Verband als auch in diesem Gelände. Die bekommen sie nicht, wenn sie den ganzen Tag nur in der Gegend herumstiefeln!“
Bis jetzt unterschied sich der Krieg in keinster Weise von den Übungsmärschen, die Lucius während seiner Ausbildung absolviert hatte. Marschieren, Lagerbau, marschieren, Lagerbau. Nur dass die Kampfbereitschaft diesmal keine reine Übung war und die Allobroger sie begleiteten.
Lucius hatte sich gefreut, Ambiorix wiederzusehen. Die langen Märsche boten immer wieder Gelegenheit zu Gesprächen, bei denen der junge Centurio und der allobrogische Häuptling sich austauschen konnten. Ambiorix war nur zehn Jahre älter als Lucius, aber ein erfahrener Kämpfer, der bereits die Feldzüge gegen die Kantabrer und die Salasser mitgemacht hatte. Während Agrippas zweiter Statthalterschaft in Gallien hatte er außerdem an einigen kleinen Feldzügen, die mehr Machtdemonstrationen als schwere Gefechte waren,
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