Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
seine Beine traf. Was für ein Flegel, sah er nicht, wen er vor sich hatte? Natürlich nicht! Lucius schüttelte über sich selbst den Kopf. Andernfalls hätte dieser Tölpel ihn sofort um Verzeihung gebeten, um dem Zorn der Familie der Justinii Marcellii zu entgehen. Stattdessen rumpelte er mit dem Karren vorbei, warf Lucius einen bösen Blick zu und zeigte ihm den Mittelfinger.
Lucius schwirrte der Kopf. Nicht erkannt zu werden, hatte entschieden seine Nachteile. Das Hafenviertel war ihm verleidet und so machte er sich auf den Rückweg. Er warf nur noch einen kurzen Blick auf die Insel, von der aus Decimus Brutus vor fast dreißig Jahren die Belagerung Massilias geleitet hatte. Bis dahin war die Stadt noch eine unabhängige griechische Gemeinde gewesen. Dann aber hatten die Stadtväter den Fehler begangen, sich gegen Caesar zu stellen, als er vom Senat gezwungen worden war, den Rubikon zu überschreiten. Caesar hatte in nur dreißig Tagen in Arelate eine Flottille von zwölf Schiffen gebaut und diese Decimus Brutus unterstellt. Drei Monate lang hatte Brutus von dieser Insel aus alle Ausbruchsversuche abgewehrt. Als die Lebensmittelvorräte aufgebraucht waren, musste sich die Stadt ergeben. Dies war das Ende ihrer Unabhängigkeit. Lucius schüttelte innerlich den Kopf über die Dummheit der Stadtväter.
Er sah sich ratlos um. Es war verdammt schwierig, sich in einer Stadt zurechtzufinden, in der die Straßen nicht von Norden nach Süden und von Westen nach Osten liefen. In Arausio oder Lugdunum war es viel einfacher. Man orientierte sich einfach an der Hauptstraße und zählte dann ab: dritte Straße links, zweite rechts und so weiter. Aber hier folgte man einer Straße, die diagonal verlief und von der andere Straßen in unregelmäßigen Abständen nach links oder rechts, mal gerade, mal schräg, abgingen. Plötzlich machte die Straße einen Knick und verlief in eine völlig andere Richtung oder mündete unverhofft in einen Platz. Die meisten Gebäude sahen ganz und gar unrömisch aus, und Lucius fehlten jegliche Orientierungspunkte. Er konnte nicht nach dem Merkurtempel fragen oder nach der Insula des Sergetius. Halt, es gab eine Orientierung! Er brauchte doch bloß nach dem Haus von Krateros oder nach der Taverne „Zum Steinbock“ zu fragen! Sie konnten ja nicht weit weg sein.
Lucius wandte sich an den nächstbesten Vorbeigehenden und fragte höflich nach dem Weg. Dieser starrte ihn irritiert an und ging weiter. Lucius sah ihm verdutzt nach. Dann versuchte er es beim nächsten. Dieser spuckte ihm vor die Füße und ging weiter. Was für ein unmögliches Benehmen für einen Römer! Römer? Besonders römisch hatten die beiden nicht ausgesehen. Ich Esel, dachte Lucius bei sich. Das waren doch bestimmt Griechen! Wer weiß, ob die überhaupt Latein konnten. Er sah sich um. Auf der anderen Seite der Straße befand sich der Stand eines Straßenhändlers, der ihn bereits neugierig beobachtete. Lucius trat zu ihm und begrüßte ihn in seinem besten Griechisch. „Guten Tag, guter Mann! Könnt ihr mir den Weg zum Hause von Krateros, dem Kaufmann, oder zu der Taverne ‚Zum Steinbock’ weisen?“
Der Händler verzog das Gesicht, als ob er körperliche Schmerzen hätte. „In Zeus’ Namen! Was für eine Sprache soll das sein?“, fauchte er.
„Griechisch!“, entgegnete Lucius erstaunt.
„Bei allen Göttern des Olymp! Das ist kein Griechisch, das ist eine Zumutung!“, pöbelte der Händler. „Sprich gefälligst Latein, wenn du unsere Sprache nicht beherrschst!“
Lucius errötete. Für so schlecht hatte er sein Griechisch nicht gehalten. „Ich suche das Haus des Krateros. Krateros, der Kaufmann!“, wiederholte er kleinlaut sein Anliegen auf Latein.
„Sehe ich aus wie ein Fremdenführer?“ Der Händler sah Lucius von oben herab an. Eine beachtliche Leistung für einen wie ihn, denn er war immerhin einen Kopf kleiner als Lucius. „Ich habe zu arbeiten und muss eine Familie ernähren!“ Der Händler grinste und ließ eine Reihe Zahnlücken sehen. Beim Zustand seiner Zähne würde er bald nur noch Zahnlücken haben, dachte Lucius. Aber er hatte den anderen schon verstanden. Er kramte ein As hervor und zeigte es ihm. „Für eure Zeit und eure Mühe, wenn ihr mir eine Frage beantwortet.“
Der Händler schaute auf die Münze. „Was willst du dafür wissen?“
„Könnt ihr mir sagen, wo sich das Haus des Kaufmanns Krateros oder die Taverne ‚Zum Steinbock’ befindet?“
„Gut!“ Der Händler nickte
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