Cevdet und seine Soehne
Fröhlichkeit auf.
»So kann es einfach nicht
weitergehen. Das verstehst du doch, oder? Du gibst mir doch recht? Es kann so
nicht weitergehen!«
»Natürlich gebe ich dir recht.«
»Was soll ich dann machen? Was
meinst du?«
»Weiß auch nicht!« sagte Perihan
resigniert, aber immer noch lächelnd. Ihre Worte verhallten unerwidert.
Refık dachte: »Sie weiß es
nicht! Was soll ich nur tun? Ich sollte wenigstens hinunter in die Bibliothek
gehen, anstatt hier nur so herumzusitzen …«
Das Baby begann zu weinen.
»Siehst du, jetzt ist sie wach
geworden!« sagte Perihan. »Das musste ja so kommen!« Doch eigentlich war ihr
das gar nicht unrecht. Sie lebte auf, als hätte sie schon seit einer Weile auf
diesen Moment gewartet. Sie beugte sich prüfend zu dem Kind hinab und sagte:
»Aha, da braucht jemand eine frische Windel!« Dann hob sie das Mädchen aus dem
Bettchen heraus, hielt es hoch in die Luft und schaukelte es hin und her, bis
das kleine Gesichtchen nicht mehr griesgrämig war, sondern lächelte.
»Sieh nur, sie lacht, weil sie mich
gesehen hat!« rief Refık. »Sie hat ihren Vater erkannt!«
»Von wegen! Bis jetzt erkennt sie
nur ihre Mutter!« Perihan legte das Kind auf den Wickeltisch und begann es
auszuziehen.
»Nein, sie hat mich erkannt! Sie
wird mal genauso intelligent wie ihr Vater!«
»Ei, was haben wir denn da alles
drin in unserer Windel, eieiei!«
Refık stand auf, um selber
nachzusehen, was bei Perihan solche Fröhlichkeit auslöste, aber als er die
beiden so lachend und glucksend vor sich hatte, fühlte er sich gleich wieder
zurückgesetzt. Um der Situation zu entkommen, sagte er hastig: »Ich gehe jetzt
hinunter in die Bibliothek und arbeite!«
Perihan räumte die schmutzige Windel
weg, dann ergriff sie die kleine Babyhand und winkte damit: »Komm, mach winke,
winke! Winke, winke!«
»Ich gehe in die Bibliothek!«
»Da ist jetzt aber deine Mutter.«
Nun fiel Refık wieder ein, dass
seine Mutter seit dem Tod ihres Mannes die meiste Zeit in der Bibliothek
verbrachte. Sie saß dort den ganzen Tag, kramte in alten Fotos herum, weinte, und
wenn es ihr in den Sinn kam, verrichtete sie ihr Gebet. Sie hatte dort auch so
gut wie alles umstellen lassen, die Bilder abgehängt und den Raum, in dem
Refık früher mit seinen Freunden Poker gespielt hatte, in eine kleine
Moschee verwandelt.
»Stimmt, das hatte ich fast
vergessen!« Refık war verstimmt. »Aber sie geht doch seit einiger Zeit
wieder aus dem Haus, oder?«
»Vielleicht geht sie heute mit
Ayşe ein wenig raus.«
Refık setzte sich wieder auf
den Bettrand. »So wie ich meine Mutter kenne, hält das nicht lange vor. Früher
oder später kehrt sie zu ihrem früheren Leben zurück. Das mit dem Beten ist
auch sonderbar. Ich weiß doch, dass sie an gar nichts glaubt. Über Nuri macht
sie sich immer lustig, weil er im Ramadan fastet!«
»Genau!« Perihan nahm das nackte
Kind auf den Arm und sagte: »Komm, mein Schätzchen, ich mach dich jetzt mal
sauber!«
Sie ging hinaus. »Was mache ich nur
hier?« Er kam sich einsam und überflüssig vor. »Meine Frau! Mein Kind!«
murmelte er mehrmals vor sich hin. »Jetzt gehe ich in die Bibliothek, nehme
mir ein paar Bücher und lese dann unten. Aber in diesem riesigen Haus kann man
sich ja nirgends mal in Ruhe hinsetzen. Drei Stockwerke sind da, und wir haben
ein Zimmer, gerade mal so groß wie ein Hühnerstall! Sowieso ist es heutzutage
verkehrt, dass die ganze Familie so dicht beieinanderlebt. Jeder überwacht den
anderen, und wenn man irgend etwas unternehmen will, bekommen gleich alle Wind
davon. Und ich sitze bei dieser Hitze hier im Schlafzimmer herum!« Er wollte
gar nicht mehr nachdenken und sah zum Fenster hinaus. Aber gleich darauf packte
es ihn wieder. »Schon der Vater Kaufmann, der Sohn also auch … Ein sorgloser,
unbekümmerter Kerl … Geheiratet habe ich. Ein Kind bekommen. Und jetzt will
ich Sinn in mein Leben kriegen! Ein bisschen Kampf, ein bisschen
Kopfzerbrechen, ein wenig Sturm und Drang, damit ich rauskomme aus meinem Trott
… Ein Kaufmannssohn will sein Leben neu ausrichten. Er sitzt faul und träge
in seinem Jugendstilschlafzimmer und gähnt vor lauter Hitze. Ich habe mir das
ein wenig spät überlegt. Schließlich habe ich ein Kind. Ich habe keinerlei
Ehrgeiz! Keine Leidenschaft! Keine Sorgen! Wahrscheinlich ist es zuviel des
Glücks, darum will ich jetzt ein wenig ausbrechen. Ich bin ja auch Enkel eines
Papas … Wenn in meinen Adern auch Kaufmannsblut fließt, so
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