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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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nicht wahr, Refık?«
    Refık erwiderte mit eisiger
Stimme: »Ja, den tue ich dir.«
    Nigân dachte: »Wunderbar! Jetzt ist
alles perfekt. Und das Dessert erwartet uns auch!«
    »Warum fangen wir dann nicht an mit
dem Dessert?«
    Sie begannen davon zu kosten, doch
Nigân hatte immer noch das Gefühl, irgend etwas fehle. Cevdet meinte sie damit
nicht, aber sie kam auch nicht darauf, was es sonst sein könnte. Ihre Mutter
hatte früher immer gesagt: »Nigân, ich möchte etwas essen, aber ich weiß
einfach nicht, was!« Nigân versuchte ihr Dessert zu genießen, aber immer wieder
schossen ihr die gleichen unerquicklichen Gedanken durch den Kopf. Sie blickte
nacheinander jeden der am Tisch Sitzenden an: Nun ja, es war eben ein ganz
gewöhnliches Feiertagsessen. Und nun ging es zu Ende. Gleich würden sie ihren
Kaffee trinken und am Nachmittag zu Cevdets Grab pilgern. »Aber dieses
Schweigen! Jeder so ganz für sich … Dieses furchtbare Schweigen!«
    Da hörte sie einen gedämpften
Schrei. Das Dienstmädchen Emine kam angelaufen. Die Kleine oben weine und sei
nicht zu beruhigen. Perihan entschuldigte sich und stand vom Tisch auf, mit
recht finsterer Miene allerdings. Da sie ein
Kind hatte, glaubte sie sich anscheinend berechtigt, deutlich zu zeigen, wie
sehr man ihr die Festtagslaune verdarb.
    Nigân dachte: »Ich habe drei Kinder,
aber so etwas hätte ich mir nie erlaubt!«
    Danach stand auf, wer gerade mit
seinem Dessert fertig war, und keiner kümmerte sich um den anderen. Dass alles
dies schweigend vor sich ging, schien niemanden zu stören.
    Als Nigân aufstand, sagte sie zu
Ayşe: »Spiel uns doch was vor! Es ist so leise hier …« Ayşe verzog
das Gesicht. »Na los, spiel irgendwas! Darf ich mir das denn nicht wünschen?
Spiel wenigstens eins von den türkischen Liedern, die dein Vater immer so mochte.
Na komm schon!«

24
  DER STURM
    Als das Dienstmädchen die Tür öffnete, sagte Refık:
»Ich habe da für Sait etwas abzugeben!«
    »Die Herrschaften sind nicht zu
Hause. Nur die Schwester des gnädigen Herrn ist da.«
    »Ich wollte ja auch nur einen Brief
abgeben!« erwiderte Refık und zog das Kuvert aus der Tasche, das Osman ihm
mitgegeben hatte.
    »Einen Moment, ich hole sie gleich«,
sagte das Dienstmädchen, das Refık auch gleich seinen Mantel abnehmen
wollte.
    Refık wehrte murmelnd ab, doch
er gab auch nicht einfach den Brief ab und ging. Das Dienstmädchen war ohnehin
schon wieder verschwunden. »Warum habe ich ihn nicht abgegeben?« dachte
Refık und blieb an der Tür stehen. Er sah auf die Uhr: kurz nach sechs. Er
war schon früh aus dem Büro gegangen, aber dann noch in Beyoğlu
herumgeschlendert.
    Da war das Dienstmädchen schon
zurück: »Sie kommt gleich. Wenn Sie sich hereinbemühen möchten!«
    »Nein, nein, ich will keine Umstände
machen! Sie hätten sie gar nicht rufen sollen!« sagte Refık, zog aber doch
den Mantel aus und ging hinein.
    Schon stand er in dem Zimmer, in dem
im Spätsommer Sait Nedim mit dem Likörglas in der Hand in seinem Sessel
eingeschlummert war. Refık sah sich um. In einem goldumrahmten Spiegel
erblickte er sein Gesicht und begutachtete es zögernd. Er fand es blass und
ungesund, lediglich der Schnurrbart sagte ihm zu. Drei Tage zuvor hatte er nach
dem Feiertagsessen und vor dem Friedhofsgang seinen Bart abrasiert, aber den
Schnurrbart stehenlassen, der seinem ansonsten immer ziemlich ausdruckslosen
Gesicht etwas »Festes« verlieh, wie Perihan sich geäußert hatte. So fiel
Refık denn auch Perihan ein, als er sich so im Spiegel betrachtete. Aber
dann dachte er wieder voller Unruhe an Güler. Auf der Treppe hörte er Schritte.
»Ich bin ganz durcheinander!«
    Das war er schließlich noch mehr,
als Güler den Raum betrat. Die beiden begrüßten sich und wechselten ein paar
Worte, bis Refık schließlich das Kuvert hervorholte und erklärte, darin
sei ein Musterbrief, so wie Sait ihn sich von Osman erbeten habe. Am Morgen
hätten sie ihn noch nicht schicken können, da sei er noch nicht fertig gewesen.
Der Brief sei an Siemens in Deutschland gerichtet, doch könne er für ein
ähnliches Anliegen an jede beliebige Firma geschickt werden. Während Refık
dies so erläuterte, dachte er daran, dass er gleich danach das Haus wieder
verlassen würde. Güler erzählte aber dann etwas über ihren Bruder. Refık
hörte ihr gar nicht zu und hielt nur den Brief in der Hand, der doch zu
übergeben war. Als Güler kurz innehielt, reichte er ihn ihr sofort und sagte
nochmals ein

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