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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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den Raum. Während er die Treppe
hinaufstieg, dachte er: »Es geht einfach nicht, es ist nichts mehr so wie
früher. Was soll ich bloß machen? Ich bringe nichts zustande. Furchtbar ist
das!« Er ging ins Schlafzimmer. Auf der Kommode brannte eine kleine Lampe. Die
kleine Melek schlief in ihrem Bettchen. Eineinhalb Wochen zuvor, als man
Refıks Krankheit für überstanden hielt, war sie aus Ayşes Zimmer
wieder hierhergebracht worden. Refık stellte sich mit den Zeitungen in der
Hand an das Bett und beobachtete seine schlafende Tochter: Sie regte sich ein
wenig, bewegte murmelnd die Lippen und verzog das Gesicht, dann beruhigte sie sich wieder und
schlief sorglos weiter. Refık setzte sich aufs Bett und fing wieder an,
Zeitung zu lesen. Bald schon hörte er auf der Treppe Schritte. An der weichen und
doch bestimmten Art, wie sie ihre Pantöffelchen aufsetzte, erkannte er sofort,
dass es Perihan war. Refık wäre es am liebsten gewesen, wenn dieser lange
Tag, an dem er zum erstenmal wieder ins Büro gegangen war, sich mit dieser
vermaledeiten geschiedenen Frau herumgeplagt und intensiv über sein Leben
nachgedacht hatte, endlich vorüber gewesen wäre, doch Perihans Schritte
verrieten ihm, dass dem nicht so sein konnte: Der Tag würde noch eine ganze
Weile dauern. Perihan kam ins Zimmer. Refık versuchte weiterzulesen, doch
achtete er ständig auf seine Frau, die im Zimmer umherging, die Vorhänge zuzog,
Schubladen aufmachte, im Schrank herumwühlte und schließlich das Nähkästchen
herauszog. Sie setzte sich und machte sich daran, einen abgegangenen
Hemdenknopf anzunähen. Refık fiel wieder ein, dass sie am Morgen wegen
dieses Knopfes gestritten hatten. Sie kam also erst jetzt auf die Idee, ihn
anzunähen. Refık ließ die Zeitung zu Boden sinken; er würde ja doch nicht
lesen können.
    Perihan merkte, wie Refık sie
ansah. Sie blickte von ihrer Arbeit hoch und fragte: »Legst du dich schlafen?«
    »Jetzt?« Refık sah auf die Uhr;
es war erst halb zehn. »Nein, noch nicht. Ich gehe ein bißchen raus. Ich fühle
mich nicht gut.« Das war ihm gerade so in den Sinn gekommen, doch machte er
dann keine Anstalten zu gehen. Er sah Perihans weißer Hand zu, die mit der
Nadel auf und nieder fuhr. Nein, der Tag war noch nicht zu Ende, da fehlte noch
etwas, und darauf wartete er nun. So saß er eine Weile schweigend da, bis ihm
das zuviel wurde.
    »Ich war heute bei dieser Güler. Die
will ein Fest veranstalten und lädt uns dazu ein.«
    Perihan biss den Faden ab und hob
den Kopf. »Schön, gehen wir hin!«
    »Tatsächlich? Und was sollen wir
da?«
    »Na, uns amüsieren!«
    »Nein, ich meine, was haben wir da
verloren?«
    »Aber hör mal, wir gehen doch nie
aus! Dann kommen wir wenigstens unter Leute!«
    »Und was für Leute! Die gefallen mir
nicht. Dieser Sait Nedim! Was der letztesmal für einen Kasper abgegeben hat!
Das leidende Paşasöhnchen hat Gewissensbisse, weil es Kaufmann geworden
ist … Sein Vater mag ein Paşa gewesen sein, aber sein Großvater war
Hirte! Und diese neunmalkluge Schwester! Die haben was Unangenehmes an sich. Da
gehen wir nicht hin!«
    »Ich will aber!« Perihan machte
einen ziemlich entschlossenen Eindruck. »Es sind amüsante Leute. Und ich habe
es satt, immer zu Hause zu sitzen!«
    »Ja, sehr amüsant!« rief Refık.
Dann machte er Sait Nedim nach. »Europa, ach, Europa! Aber ich bitte Sie! Nach
Ihnen! Ergebensten Dank! Ach, Paris! Mein Vater war ja ein Paşa! Ach, ich
Armer!« Dazu machte er fortwährend Bücklinge, und mit effeminierten Gesten,
wie er sie bei Sait Nedim niemals gesehen hatte, verteilte er imaginäre
Handküsse.
    Perihan lachte auf. »Das sieht eher
dir ähnlich als Sait!« Nun machte sie sich selbst ans Imitieren. »Ach, bin ich
krank! Mir ist so unwohl! Ich kann gar nicht ins Büro gehen!« Sie hielt inne
und sagte mit unverminderter Entschlossenheit: »Ich will da hingehen und mich
amüsieren!« Dann wandte sie sich Melek zu. »Jetzt haben wir sie aufgeweckt!«
    Refık rief: »Das also hältst du
von mir!« Er konnte gar nichts mehr denken, sondern hatte nur noch diese
Nachäffung im Kopf. »Das hältst du von mir!«
    »Ich will zu dieser Feier!«
    Refık wusste genau, dass Perihan
das nur sagte, um sich ihren Stolz zu bewahren, aber er rief weiter: »Das ist
ja auch das einzige, was du willst: dich amüsieren! Einen Hemdenknopf anzunähen
ist dir schon zuviel, aber zum Amüsieren ist immer Zeit!« Als Perihan sich
demonstrativ um das Kind kümmerte, um möglichst

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