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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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schmutzige rote Glühbirne herab. Obwohl sie
brannte, wirkte sie kalt. Muhittin hatte einmal an einem Gedicht geschrieben,
das »Die rote Glühbirne« heißen sollte, doch als ihm klar wurde, wieviel
Ehrlichkeit er dabei hätte aufbringen müssen, hatte er davon abgelassen und
sich eingeredet, nicht Heuchelei oder Lust am Versteckspiel hätten ihn von
einer Vollendung des Gedichts abgehalten, sondern das Milieu, das ihn umgab, in
dem man solche Ehrlichkeit nur als Abartigkeit aufgefasst und ihm vorgeworfen
hätte, auf Provokation und billiges Interesse aus zu sein. Nun aber, als er
hier so einsam dasaß, spürte er, dass er sich selbst gegenüber unerbittlich
sein und zugeben musste, das Gedicht aus lauter Feigheit und Heuchelei nicht
fertiggeschrieben zu haben. Er war ein Heuchler, ein schlechter Dichter, ein
guter Hochstapler, der sich mit Dreißig nicht würde umbringen können und
fürchtete, sich bei der Frau, die nun gleich kommen würde, eine Krankheit zu
holen. Zum Glück war er intelligent genug, die Furcht vor der Krankheit
abzuwehren, denn immer wenn diese Furcht ihn befiel, dachte er an Baudelaire.
Was jenen armseligen französischen Außenseiter nämlich zu Baudelaire gemacht
hatte, waren zwei Dinge: Einsamkeit und Syphilis! »Wie Baudelaire bin ich ein
einsamer, trübsinniger, intelligenter, liebesbedürftiger Dichter! Und außer
Huren habe ich keine Freunde, so wie Baudelaire. Fehlt bloß noch die Syphilis;
wenn ich die kriege, habe ich alles beisammen!« Mit starrem Blick auf die rote
Glühbirne spulte er in aller Hast diese Gedanken herunter, um seiner Beklommenheit
Herr zu werden. Dann hörte er eine Frau summend die Treppe heraufkommen. Er
horchte auf ihre Schritte, doch das Lied zog an seinem Zimmer vorbei. Gleich
darauf ging quietschend die Tür zum Nebenzimmer auf. Dort musste genauso einer
sitzen wie er. »Meine einzigen Freunde!« Er versuchte sich das Gesicht der Frau
vorzustellen, die gleich kommen würde, doch konnte er sich kaum an sie
erinnern. Statt dessen kamen ihm andere Frauengesichter in den Sinn. Am
Nachmittag hatte die Gattin seines Teilhabers nach dem Einkaufen im Büro
vorbeigeschaut, eine dunkelhaarige, unscheinbare Frau um die Dreißig. Er
ertappte sich dabei, dass er die Nase über sie rümpfte. »Ich sehe auf sie
herab, weil sie nicht wie meine Traumprinzessin aussieht«, dachte er und musste
lachen. Im Grunde sah er auf alle Frauen herab, die nicht seiner
Traumprinzessin entsprachen. Sein Teilhaber, der ihn auf nervtötende Art und
Weise zu verkuppeln suchte, hatte ihn einmal scherzhaft als Frauenfeind
tituliert. Dem hatte Muhittin energisch widersprochen, eingedenk all der
Achtung, die er seiner Traumprinzessin entgegenbrachte, doch danach hatte er
sich über sich selbst geärgert. »Meine einzigen Freunde sind die Huren!« Ihm
war manchmal so, als ob er diese mehr achtete als alle anderen Frauen. Dann sagte er sich
auch, dass sie nicht aus Armut und Not zu Huren geworden waren, sondern aus
einer bewussten Entscheidung heraus, um sich den Regeln der Gesellschaft nicht
zu beugen und nicht machen zu müssen, was die anderen taten. Wieder hörte er
jemanden die Treppe heraufkommen. In seine Erregung mischte sich Besorgnis, und
er sagte sich, wie schon so oft: »Nie wieder komme ich hierher! Ich werde nur
noch arbeiten! Ich darf einfach nicht mehr kommen!«
    Kurz vor seiner Tür hielten die
Schritte inne, und eine heisere Frauenstimme rief ungeniert: »Ist mein kleines
Schätzchen da?«
    Sie bekam sogleich Antwort von einem
Mann. Muhittin kannte dieses Spielchen schon, von seinem ersten Besuch vor
einem halben Jahr; ihn störte das nicht. Ja, nicht nur das, er fand sogar
Gefallen daran. Jene Frauenstimme hatte so etwas liebevoll Mütterliches an
sich. »Mein kleines Schätzchen!«
    Da ging die Tür auf. Von dem roten
Licht beschienen, trat eine Frau ein und sagte zu Muhittin in ihrer üblichen
aufgesetzten Fröhlichkeit: »Na du Schlingel!« Muhittin sah verlegen drein. Sie
würden wie üblich erst ein paar Worte wechseln, und dann würde die Frau ihr
Kleid ausziehen und dabei fragen: »Habe ich dich warten lassen?« Mit einem Ruck
stand Muhittin auf, packte die Frau an den Schultern und fragte: »Meinst du,
ich kann mich umbringen?«
    »Was, du willst mich umbringen?«
erwiderte die Frau verblüfft und riss sich von ihm los. »Was soll das?« Sie sah
Muhittin an wie einen Verrückten, aber wirkliche Angst schien sie nicht zu
haben. Sie musste derlei gewöhnt sein.
    Anstatt zu

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