Cevdet und seine Soehne
Antwort abzuwarten, holte
er die Flasche selbst. »Und dann sagen Sie mir doch das eine: Warum kommt es
Ihnen so lächerlich vor, wenn ich Sie als halben Türken bezeichne?«
»Weil die Türken andere Menschen
sind als ich!« rief der Deutsche, und sein Gesicht, dem man die Enttäuschung
über die Niederlage ansah, verhärtete sich dabei.
»Wo möchten Sie denn dann hin?«
fragte Refık.
»Nach Amerika!«
»Und warum bleiben Sie nicht hier?«
fragte Ömer.
»Weil dieses Land nichts für mich
ist!«
»Was? Das sagen Sie nach zehn
Jahren? Sie sind doch längst eingewöhnt hier!«
»Mein Körper vielleicht, aber nicht
meine Seele.« Dabei legte er sich in einer gefühlvollen Geste die Hand aufs
Herz.
»Und warum soll die sich nicht an
die Türkei gewöhnen? In Istanbul sind jetzt viele Deutsche, die aus ihrer
Heimat geflüchtet sind. Warum soll das nicht auch was für Sie sein?«
»Ich sage doch, wegen meiner Seele.«
»Von wegen Seele! Ihnen ist das
Leben nur zu beschwerlich hier. Sie sehnen sich nach mehr Bequemlichkeit. Sie
sind in die Türkei gekommen, weil Sie als Kind mit Ihrem Vater schon mal hier
waren, Sie haben ein bisschen hier gelebt und Geld verdient, und jetzt flüchten
Sie sich in mehr Komfort!«
»Nein, nein!« beteuerte der Deutsche
und wurde rot. »Das waren immerhin zehn Jahre und nicht nur ein bisschen. Und
weil Sie mich so ärgern, werde ich ganz offen sein: Ich mag den Orient nicht!
Mag diese ganze Atmosphäre nicht und diese fremden Seelen, die mit der meinen
nicht harmonieren. Ich habe Ihnen doch oft genug diese Verse von Hölderlin
vorgetragen, und selber haben Sie sie auch schon gelesen.« Noch einmal sagte er
sie auswendig her und übersetzte sie dann ins Türkische: »Wie ein
prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelsstrich mit
seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt
hat, muss er knien, eh’ er sprechen gelernt hat, muss er beten! Sehen Sie, so
oft habe ich das schon gesagt, und jedesmal haben Sie mir recht gegeben, was ist
dann jetzt auf einmal?«
»Ach, wir reden doch nur, Herr
Rudolph, um uns die Zeit zu vertreiben, da brauchen Sie sich doch nicht
aufzuregen! Aber irgendwie verachten Sie uns doch, stimmt’s? Sie traktieren uns
mit den Worten dieses verrückten Dichters, also verachten Sie uns, so ist es
doch!«
»Ich verachte niemanden. Ich sage
lediglich, dass mir die orientalische Seele nicht liegt. Und das sage ich schon
seit jeher.«
»Sie sagen aber auch immer, dass Sie
sich mit mir gut verstehen?«
»Natürlich. Weil Sie auch nicht so
sind wie die! Sie haben mich doch selber gefragt, ob Sie nichts von einem
Rastignac an sich haben! Sie passen auch nicht zur Seele dieses Landes.« Dann
wandte er sich zu Refık: »Und Sie genausowenig! Keiner von uns ist für
dieses Land hier geschaffen. Wenn erst einmal der Teufel in einen gefahren ist
und das Lichtlein des Verstandes angezündet hat, dann kann man machen, was man
will, man ist und bleibt ein Fremder hier. Die Seele lebt mit der Welt um sich
herum in dauerndem Zwist, das sehe ich nur allzu deutlich. Entweder man
verändert dann die Welt, oder man bleibt darin Außenseiter! Wie sieht es
eigentlich mit Ihren Studien aus, Refık? Haben Sie beschlossen, nach
Istanbul zurückzukehren?«
»Ich habe noch gar nichts beschlossen.«
»Sehen Sie!« triumphierte der
Deutsche. »Das Licht des Verstandes verträgt sich nicht mit der Seele des
Orients … Sie können nicht so sein wie Ihre Umgebung. Sie haben mir von
Rousseau erzählt, aber die Welt, in der Sie leben, ist völlig anders!«
»Was sollen wir dann machen?«
»Moment mal!« warf Ömer ein. »Lass
mich mal für mich selber reden! Ich weiß nämlich sehr wohl, was zu tun ist. Der
Mensch muss sich ein Ziel setzen, muss Pläne schmieden und diese dann
entschlossen in die Tat umsetzen! Also, jeder sollte nur für sich selber
sprechen!«
»Schon gut! Jedenfalls habe ich noch
nichts beschlossen«, erwiderte Refık kleinlaut. Seit vier Wochen las er
die mitgebrachten Ökonomiebücher, dachte über die türkische Wirtschaft, über
Reformen und Etatismus nach, schrieb auch das eine oder andere und sprach dann
mit Herrn Rudolph darüber, um aus alledem eine Schlussfolgerung zu ziehen, doch
brachte er sein Anliegen nicht richtig auf den Punkt und musste auch einsehen,
dass das nicht leicht sein würde.
»Halten Sie mir den Rationalismus in
Ehren!« empfahl Herr Rudolph. »Wenn Sie mit dem brechen, stürzt
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