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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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ihre Streitgespräche darüber, wie eine moderne Beziehung zwischen
Mann und Frau aussehen sollte. Ayşe wurde seit Anfang des Jahres nicht
mehr von ihrer Mutter abgeholt. Um das durchzusetzen, hatte sie zu Hause einen
langen Kleinkrieg geführt, bis Nigân mit heruntergezogenen Mundwinkeln und
einer gereizten Geste angezeigt hatte, wie überdrüssig sie all dieser Mühsal
war und dass ihre Tochter ja ohnehin nie so sein würde, wie sie als Mutter sich
das gewünscht hätte, und damit war das Thema erledigt gewesen.
    »Na sag schon, was macht ihr da?«
wiederholte Cezmi und schwenkte seinen Geigenkasten hin und her.
    Die Familie wollte diesen Sommer
wieder auf Heybeliada verbringen, was im Jahr davor wegen Cevdets Tod nicht
möglich gewesen war, doch Ayşe sollte auf Betreiben von Mutter und Bruder
zu ihrer Tante in die Schweiz geschickt werden, um kurz vor dem Schulabschluss
ihr Französisch noch zu verbessern. In diesem Fall war es vorbei mit den
Musikstunden und mit dem gemeinsamen Weg vom Tunnel nach Harbiye. Ayşe
dachte: »Ich will nicht in die Schweiz!« Sie sah, wie nervös Cezmi seinen
Geigenkasten baumeln ließ, und sagte: »Ich weiß noch nicht. Und was hast du
vor?« Sie hätte sich am liebsten auf die Lippe gebissen. Um zu unterstreichen,
aus was für verschiedenen Verhältnissen sie kamen, hatte Cezmi sie nämlich
einmal darauf hingewiesen, dass er und die Leute aus seinem Milieu in so einem
Fall einfach fragten »Was machst du?«, während Leuten wie Ayşe viel mehr
Zeit und Auswahl zur Verfügung stand, so dass ihre Frage eher »Was hast du
vor?« lautete.
    »Ich fahre zu meinen Eltern nach
Trabzon«, sagte Cezmi, der zum Jurastudium in Istanbul war.
    »Das ist doch gut!« Ayşe war um
Fröhlichkeit bemüht. »Dann kannst du nach Herzenslust lesen und im Meer baden!«
    »Baden? Von wegen! Dort geht kein
Mensch ins Meer. Das tun die Leute nur hier, auf den Prinzeninseln und in
Suadiye. Und in Europa natürlich.« Wenn Cezmi verärgert war, vergaß er, wie
modern er doch sein wollte, und kehrte lieber seine bescheidene Herkunft
heraus. Sein Vater war Musiklehrer.
    Wieder war Ayşe peinlich
berührt. »Zum zweitenmal innerhalb einer Minute!« dachte sie. Da fiel ihr etwas
ein. »Na, dann bringst du den Leuten eben bei, was sich heutzutage gehört und
dass im Meer baden keine Schande ist!«
    »Klar!« versetzte Cezmi ruppig.
    Schweigend gingen sie weiter. Die
schräge Maisonne beschien nur die Wipfel der Alleebäume und in der Ferne ein
paar Apartmenthäuser. Straße, Bäume und Hauswände lagen im Schatten. Hin und
wieder kam von Şişli her ein leichter Frühlingswind auf, und es
duftete nach Lindenblüten und Geißblatt.
    »Du bist mir doch nicht böse, oder?«
fragte Cezmi plötzlich besorgt.
    Ayşe dachte: »Ein Wüterich ist
er ja wirklich nicht!« Liebevoll schielte sie zu dem zart gebauten, hübschen
Jungen hinüber. Es durchfuhr sie ein zärtlicher Schauer, aber sie beherrschte
sich.
    »Die Musikstunde war doch gut
heute!« sagte sie eilig. »Monsieur Balatz hat so schön gespielt!«
    Wie üblich hatte der Ungar zuerst
die beiden Schüler einzeln vorspielen lassen, dann hatten sie gemeinsam eine Platte
gehört, und schließlich hatte er auf ihren Wunsch hin selbst zur Geige
gegriffen.
    Cezmi schob seine rutschende Brille
hoch. »Es ging so.«
    »Gefällt dir denn nicht, wie er
spielt?«
    »Nicht besonders!«
    »Ich finde es wunderschön! Vor
allem, wenn er vom Klavier begleitet wird. Er hätte eigentlich ein großer
Musiker werden können!«
    »Ich könnte Sie genausogut auf der
Geige begleiten!« Wenn Cezmi sich aufregte, siezte er Ayşe manchmal. »Wir
könnten die Kreutzersonate spielen. Haben Sie die gleichnamige Novelle
gelesen?«
    »Nein«, erwiderte Ayşe und
merkte, dass der Junge über irgend etwas verärgert war.
    Cezmi ließ Ayşe oft spüren,
dass sie nicht genug las, aber diesmal sagte er nichts. Schweigend gingen sie
nebeneinander her.
    »Was halten Sie von unseren
Ansprüchen auf Hatay?« fragte Cezmi nach einer Weile.
    »Was soll ich davon halten?«
    »Na, irgend etwas!«
    Ayşe hatte keine Lust zu
antworten. Staubaufwirbelnd fuhr ein Bus vorbei, und Ayşe bemerkte, dass
darin eine Frau mit Kopftuch sie aufmerksam beobachtete. »Was die sich wohl
denkt? Wahrscheinlich, dass da ein gutaussehender Junge mit einem seltsamen
Kasten in der Hand neben einem hässlichen Mädchen hergeht!« Sie sah missmutig drein.
    »Du hast mir immer noch nicht
gesagt, was du im Sommer machst!« hakte

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