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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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finsteren
Mittelalter zu befreien und sie an die Städte und die staatlichen Reformen
anzubinden, muss meiner Ansicht nach etwas grundsätzlich anderes gemacht werden
als bisher … Im Rahmen der staatlich gelenkten Wirtschaft ließe sich bestimmt
etwas anfangen. Aber mit den Ideen aus Reformen und Organisation ist
nicht alles zu bewältigen, genausowenig wie mit dem Liberalismus aus Staat
und Individuum. Ich mische mir mein eigenes Rezept zusammen, schreibe es
dann nieder und entwickle es weiter. Wenn
ich glaube, auf etwas gestoßen zu sein, stehe ich immer ganz aufgeregt vom
Tisch auf und gehe im Zimmer umher, und dann fallen mir dazu wieder andere
Sachen ein, und ich werde wieder ganz verwirrt. Dann habe ich plötzlich lauter
Bilder vor Augen. Vorhin zum Beispiel habe ich die Hochzeit mit Perihan
gesehen, und dann ist mir das Gesicht von jemandem in den Sinn gekommen, den
ich mal irgendwo flüchtig kennengelernt hatte. Ich will meine Gedanken zum
Dorfwesen zu Ende bringen und sie dann jemandem zeigen. Vielleicht İsmet
Paşa? Den sehe ich manchmal auf Heybeliada. Oder jemand anders? Süleyman Ayçelik? Trotz dieser Höhenflüge
komme ich mir keineswegs wie ein Träumer vor. Höchstens, dass ich morgen früh
wieder etwas ernüchtert bin, aber das ist auch schon alles.
    16. April
    Ich habe einen Brief von Perihan
bekommen. Zwei kurze Seiten nur, die ich wieder und wieder gelesen habe. »Du
kannst zurückkommen, wann Du willst, das ist ganz Deine eigene Entscheidung,
aber am liebsten wäre mir, Du würdest so bald wie möglich kommen und mich und
unser Kind nicht länger allein lassen!« schreibt sie. Sie habe nicht in
Erwägung gezogen, zurück zu ihrer Mutter zu gehen, und dass bei unserem Streit
sie selber recht habe, wisse sie durchaus. Dass ich das einsähe, sei sehr gut.
Dann erzählt sie noch ein bisschen von Melek. Sie beschuldigt niemanden und
schlägt einen sehr gemäßigten Ton an, der uns beide schonen soll. Mir kam in
den Sinn, sogleich nach Istanbul zu fahren, aber damit würde ich meinen ganzen
Plan aufgeben. Wann soll ich dann heimfahren? Nun bin ich schon zwei Monate
hier und noch nicht besonders weit gekommen. Ich stehe jeden Morgen um sieben auf,
frühstücke bis um acht und gehe dann ein bisschen hinaus, egal, wie das Wetter
ist. Dann arbeite ich bis um eins. Nach dem Essen lege ich mich ein wenig hin.
Nachmittags arbeite ich bis sechs oder bis kurz nach Sonnenuntergang. Nach dem
Abendessen besuchen wir Rudolph, oder ich lese, so wie heute. Voltaire,
Rousseau … Perihan will mir die bestellten Bücher schicken. Eigentlich schäme
ich mich ja, und zwar sogar sehr, aber was soll ich machen?
    26. April
    Frühling! Sie arbeiten jetzt draußen
an den Brücken. Auch füllen sich die anderen Zimmer der Baracke mit neu
eintreffenden Ingenieuren. In unserem Zimmer ist es vorbei mit der
Bequemlichkeit, es sind drei Neue eingezogen, die ich gerade kennengelernt
habe. Dass ich mit der Baustelle gar nichts zu tun habe, hat sie sehr
gewundert. Sie wollten wissen, was ich hier treibe, und das ist gar nicht so
leicht zu erklären. Eine unangenehme Situation. Enver und Salih werden
vermutlich mit spöttischen Bemerkungen nicht sparen.
    28. April
    Jetzt habe ich auch den berüchtigten
Kerim Naci Bey kennengelernt. Es stimmt schon, was man sich so erzählt. Er kam
dahergeritten wie Napoleon, und die Leute haben ihn ehrfurchtsvoll angestarrt.
Er hat immer nur leicht genickt, wie ein Kommandant, der sein Heer inspiziert.
Er hat Ömers Durchsetzungskraft und Unternehmertum gewürdigt, aber so, wie ein
General einen Unteroffizier lobt. Was ich hier soll, hat er nicht begriffen.
Die staatlichen Kontrolleure sind ihm hinterhergeritten. Ich bin auch auf ein
Pferd gestiegen. Ich dachte, ich würde gleich wieder herunterfallen, aber dem
war gar nicht so. Das Pferd macht alles von allein, man muss nur darauf sitzen
bleiben.
    Mit meinen Projekten komme ich gut
voran, und ich arbeite mit großer Freude.

30
  ZWEI MUSIKLIEBHABER
    Cezmi blickte auf einen der Alleebäume auf
dem Mittelstreifen, als ob es da etwas Besonderes zu sehen gäbe, und fragte wie
beiläufig: »Und was macht ihr in den Sommerferien?« Sie waren von Taksim nach
Harbiye unterwegs. Es war Anfang Mai, und die Alleebäume blühten. Nach der
Musikstunde bei Monsieur Balatz gingen sie immer gemeinsam vom Tunnel bis nach
Harbiye. Cezmi hätte Ayşe gerne bis Nişantaşı
begleitet, aber das ließ sie nicht zu, und das war auch mehr oder weniger der
Grund für

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