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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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sie wirklich interessierte, nämlich der politischen
Gerüchteküche. »Da sie mir nicht weiterhelfen können, haben sie für mich nichts
weiter als Mitleid oder höchstens noch ein Schuldgefühl übrig, und so verderbe
ich ihnen die Laune.« Zwar hatte er bei seinen Plänen darauf geachtet, die
Leute nicht zu verprellen, aber letztendlich war es doch geschehen. Er stieg
die letzten Stufen empor und sah einen befrackten, väterlich grüßenden Muhtar vor
sich stehen.
    »Da ist ja unser junger Reformer!«
rief Muhtar und drückte Refık fest die Hand. »Wo hast du denn gesteckt?
Hast dich in der Stadt umgesehen, was? Und, wie gefällt dir das alles? Gut,
was? Und wie gefalle ich dir?«
    »Ausgezeichnet!« Refık spürte
etwas Besonderes in der Luft liegen und musterte die anderen.
    Refet und Nazli lächelten, doch bei
Nazli wirkte das Lächeln befremdlich. Auch Ömer lachte, aber irgendwie als
stünde er nicht im Zimmer, sondern ganz woanders.
    »Seht ihr, der findet auch, dass ich
noch auf Zack bin!« rief Muhtar. »Setzen wir uns an den Tisch, und dann
erzählst du mir, was du alles gesehen hast! Warum bin ich eigentlich den ganzen
Vormittag zu Hause geblieben? Setz du dich dahin und du da … Wo bleibt denn
das Essen? Hatice, ist das Essen fertig?«
    Das Dienstmädchen antwortete, sie
habe den Braten schon aus dem Rohr genommen, er sei nur noch nicht
servierbereit. Daraufhin wollte Muhtar noch eine Flasche Wein. Nazli und Refet
protestierten, und Muhtar erklärte Refık, zwei Glas habe er schon
getrunken. Ob Refık den Mann auf dem Balkon gesehen habe, fragte er dann
grimmig, und als Refık nicht verstand, empörte er sich wieder über den
Oberst, der es völlig an Achtung fehlen lasse. Hätten Refet und Nazli ihn nicht
davon abgehalten, wäre er längst hinübergegangen und hätte den Mann zur Rede
gestellt! Dann fragte er wieder, was Refık denn alles gesehen habe.
    Refık war müßig umhergegangen,
ohne die erhoffte Erregung zu verspüren. Als er sich von Ömer getrennt hatte,
hatte er erwartet, durch die vielen Leute, die Soldaten in Paradeuniform und
die Hektik der Festvorbereitungen würde auch bei ihm die entsprechende
Vorfreude aufkommen, aber das war nicht der Fall, und er hatte nur wieder an
sein Heim, an Perihan und an sein Projekt gedacht und an das, was er in Ankara
vielleicht sonst noch anfangen konnte, und schließlich war er sich reichlich
überflüssig vorgekommen. Er wollte Muhtar Erfreulicheres berichten, brachte
aber nicht viel zustande. Allmählich begann er an Muhtars Begeisterung zu
zweifeln und darin eher eine Form von Ungeduld zu sehen. Als das Dienstmädchen
das Essen auf den Tisch brachte, beobachtete Refık verständnislos, wie der
Abgeordnete gleich wieder ins
Schwärmen geriet. »Sie werden nur melancholisch, wenn sie mich sehen! Dabei
wollte ich doch Klarheit und Licht hierherbringen!« Er machte sich wieder
daran, dem Abgeordneten etwas zu erzählen, und berichtete gerade von einer
Familie vom Land, die er gesehen hatte, alle mit einem Fähnchen in der Hand,
als Muhtar plötzlich ausrief: »Nun ja, nun ja, aber was wird jetzt geschehen?
Ob wohl eine neue Mannschaft ans Ruder kommt?«
    »Eine neue Mannschaft?« sagte
Refık verdutzt. Er dachte an die Zeitschrift Organisation. Darum
bemüht, zwischen seinen eigenen Gedanken und Muhtars Anliegen eine
Gemeinsamkeit zu finden, sagte er, eine neue Regierung werde bestimmt mit neuen
Vorstellungen und Plänen antreten.
    Refet erwiderte lachend: »Vielleicht
wechselt unsere Regierung, aber nicht unser Schlendrian!«
    »Ist denn der Kemalismus eine
geistige Bewegung oder das Produkt einer bestimmten Personengruppe?« fragte
Muhtar.
    Refık antwortete, er sei wohl
ein Mittelding zwischen den beiden, doch sei das nicht so wichtig. Entscheidend
sei vielmehr eine neue Herangehensweise an die dörflichen Strukturen. Worin die
denn bestehe, fragte Muhtar, aber Refıks Erläuterungen hörte er dann schon
gar nicht mehr zu, sondern beschwerte sich, wie zäh das Fleisch sei. Zu heiß
sei es obendrein. Er schien nur nach einem Vorwand zu suchen, seinen Unmut
auszudrücken. Dass der neue Ansatz sich aus der von der Volkspartei zum Prinzip
erhobenen »Volksnähe« ableite, behielt Refık daher lieber für sich.
    Refet merkte an: »Die Reformen waren
das Werk einer Mannschaft, und die hat aus einem einzigen Mann bestanden.«
    »Der jetzt in Istanbul auf dem
Totenbett liegt«, ergänzte Muhtar und war selbst überrascht, wie offen er das
ansprach. »Und was

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