Cevdet und seine Soehne
wird dann geschehen?«
»Ach, bis in der türkischen
Bürokratie mal eine Stelle besetzt wird …« sagte Refet und sah von einem zum
anderen, um die Wirkung seines Scherzes zu prüfen.
»Du behauptest also, dass mit
Atatürk auch die Reformbewegung stirbt«, sagte Muhtar und sah Refet dabei
vorwurfsvoll, ja drohend an.
Um einen Themenwechsel bemüht, sagte Nazli: »Ihr
könnt eure Reste auf diesen Teller tun, dann
gebe ich sie der Katze.« Dann fragte sie Ömer, der noch nicht einmal den Mund
aufgetan hatte, seit er am Tisch saß, ob er das fettige Fleischstück auf seinem
Tellerrand noch essen wolle.
»Du hast mich mal wieder falsch
verstanden, mein lieber Muhtar«, beschwichtigte Refet. »Was ist denn heute los
mit dir? Was sehe ich da, Spinat in Olivenöl!«
»Ich habe dich sehr wohl richtig
verstanden! Wenn die Reformen nur auf einen Mann zurückgehen, dann sind sie mit
Atatürks Tod am Ende. Aber das ist ganz und gar nicht so. Was hältst du etwa
von İsmet Paşa?«
»Habt ihr gehört, was Şükrü
Kaya über İsmet Paşa gesagt hat?« fragte Refet und begann eine
Anekdote über die Gallensteine von İsmet Paşa zu erzählen, die sich durchs
Reiten entzündet hätten, so dass dem Paşa von den Ärzten das Reiten
verboten worden sei. Şükrü Kaya habe daraufhin immer gestichelt, ob der
Paşa dieses Verbot auch wirklich einhalte, und da brach Refet plötzlich ab
und gab zu, sich in der Anekdote verheddert zu haben, aber an seinem Schmunzeln
erkannte jeder, dass er nur drauflos erzählt hatte, um von dem alten Thema
abzulenken.
»Was meinst du, Refık, glaubst
du, es lässt sich alles mit Verboten und mit Gewalt lösen?« fragte daraufhin
Muhtar.
»Nun ja, staatliche Gewalt hat im
Verlauf unserer Geschichte zu einigem Fortschritt geführt.«
»Dann bist du also dafür, dass der
Staat den Fortschritt mit Gewalt durchsetzt?«
Refet warf ein: »Aber das läuft doch
ohnehin immer so ab!«
»Lass den jungen Mann selber
antworten! Er soll sagen, dass er für den Einsatz von Gewalt ist!«
Das konnte Refık zwar nicht
sagen, aber ihm war klar, dass er auch nicht einfach das Gegenteil behaupten
konnte. So blieb ihm nichts übrig, als zu tun, was entscheidungsunfreudige
Menschen in solchen Fällen eben tun, und er betete herunter, was die Anwendung
von Gewalt in der türkischen Geschichte für eine Rolle gespielt hatte. Während
er über die Reformen Mahmuts II. referierte, fragte er sich, wie er nur schon
wieder in so eine Zwickmühle geraten war.
»Siehst du, du kannst nicht dagegen
argumentieren, dass der Staat seine Macht einsetzt! Dabei hast du so auf die
Eintreibung der Straßensteuer geschimpft und auf die Niederschlagung des
Dersimaufstands!« sagte Muhtar. Aufgekratzt fügte er hinzu: »Wenn du völlig
gegen Gewalt wärst, wie sollten dann auch deine Projekte durchgesetzt werden?
Meinst du, die Bauern machen das von allein? Ha! Nein, nein, ohne Zwang geht
gar nichts. Bei uns braucht es immer einen Knüppel! Nazli, servier uns doch mal
den Joghurt!«
Refık dachte: »Aber das stimmt
doch gar nicht! Der Fortschritt kann nicht mit Knüppel und Peitsche gebracht
werden! Das ist falsch! Aber ob auch falsch ist, was er über die Umsetzung
meiner Projekte gesagt hat? Soll ich ihm antworten?«
»Ja schon«, sagte er schließlich,
»aber man soll dabei Maß halten.«
»Der Joghurt soll nämlich vorzüglich
sein«, sagte Muhtar, um von seinem Triumph ein wenig abzulenken. »Na siehst du!
Du hattest gesagt, das Vorgehen in Dersim sei ein Fehler gewesen. Doch hätte
man denen nicht mit dem Knüppel Einhalt geboten, so wären die Reformen in
Gefahr geraten. Entweder du schlägst dich auf die Seite von Staat und Reformen
und bringst deine Projekte mit Zwang auf den Weg, oder du stehst allein da und
kommst womöglich auch noch ins Gefängnis! Nimm nur die Schließung der
Derwischklöster! Man muss doch die Leute von diesem unsinnigen Glauben
abbringen! Von selber wollen sie aber nicht! Was soll man dann tun?«
Refık dachte: »Wenn man den
Menschen etwas einpeitschen muss, kommt nichts Gutes heraus!« Er wusste aber,
dass er das Prinzip des Fortschritts durch Zwang nicht gänzlich verurteilen
konnte.
»Von allein wollen die Leute nicht!«
wiederholte Muhtar. »Refet, erzähl doch mal, wie das in Adana war, mit der Ansiedlung
der Stämme. Seit ewigen Zeiten wollte man dort schon, dass die turkmenischen
Nomaden endlich sesshaft werden, und die haben sich ständig dagegen gewehrt.
Schließlich hat man sie mit
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