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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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auf Ömer zuging.
»Ganz offen will ich dich fragen, denn ich glaube, ich kann deine Antwort
ertragen, ohne rot zu werden!«
    Ömer wandte den Blick nicht von dem
Turbanständer mit den Perlmutteinlagen. Er spürte seine Wange zucken und
dachte, dass sein Mund wohl hässlich verzerrt war.
    »Ich werde nicht erröten, also frage
ich dich jetzt: Willst du mich überhaupt noch?« Sie stand nun direkt hinter
Ömer. »Wenn du mich nicht mehr willst, dann sag es!«
    »So ein Unsinn!« rief Ömer.
Linkisch wandte er sich um und hatte Nazlıs Gesicht direkt vor sich. Er
nahm ihren Kopf zwischen die Hände, zog ihn zu sich heran und küsste sie, so
fest er nur konnte. Wie in Trance tat er das alles.
    Danach sagte Nazli wieder: »Wenn du
mich nicht willst, dann sag es!«
    Sogleich küsste Ömer sie wieder, heftig
genug, um ihr auch ein bisschen weh zu tun. Dann sagte er: »Ich bin ein Mann,
ein Eroberer, und kein gewöhnlicher Mensch!«
    »Du schiebst die Hochzeit immer
wieder auf!« sagte Nazli zitternd.
    Ohne sie anzuschauen, erwiderte
Ömer: »Du weißt doch, dass ständig was dazwischengekommen ist!«
    »Das stimmt nicht!«
    »Du wirst ja
doch rot!« rief Ömer.
    »Bitte nicht so laut, die hören uns
sonst!« flehte Nazli. Ihr liefen nun Tränen herunter.
    Ömer ließ sie los, trat einen
Schritt zurück und sah ihr rotes Kleid an.
    Nazli wischte sich die Tränen ab und
hob den Kopf. »Jetzt hast du wieder diesen abschätzigen Blick! Was habe ich dir
denn getan? Wenn du mich verachtest und mich nicht mehr willst, dann sag es mir
endlich!«
    »Ich will ja, aber du willst nicht!«
sagte Ömer lachend.
    Nazli weinte wieder los. Ömer fasste
sie an den Schultern, um sie zu beruhigen und zu trösten, aber dann hörte er
Stimmen und trat zurück.
    »Komm, setzen wir uns wieder!« sagte
er und erschrak, wie sich seine Stimme anhörte. »Du hättest nicht so viel
trinken sollen! Das kommt alles nur davon. Du weißt, dass dir das nicht
guttut!«
    Hastig nahmen sie wieder da Platz,
wo sie zuvor gesessen hatten. Aus dem Gang ertönten fröhliche Stimmen.
    Dann kam Refet herein. »Also, dein
Vater ist schon eine Marke!« Als er Ömer sah, spürte er wohl, dass etwas
Missliches vorgefallen war, ließ sich aber nichts anmerken.
    Da kam Muhtar in einem glänzenden
Frack herein. »Na, wie steht mir der?« fragte er schmunzelnd Nazli.
    Nazli stand auf und ging hastig auf
ihren Vater zu. »Ausgezeichnet steht er dir!« sagte sie und umarmte ihn.
    Gerührt erwiderte Muhtar die
Umarmung und tätschelte seiner Tochter den Rücken. Dabei merkte er, dass sie
zitterte. Er fasste sie an den Schultern und sah ihr ins Gesicht. »Du weinst
ja! Was gibt es denn jetzt zum Weinen?«
    »Ich weiß auch nicht, ich weine
einfach so!« schluchzte Nazli und weinte nun ganz hemmungslos.
    Verblüfft umarmte Muhtar seine
Tochter noch inniger und strich ihr durch die Haare. Auf einmal sagte er
schmunzelnd: »Ach so, ja: der Wein! Ihre Mutter war genauso. Natürlich! Ich
habe immer zu ihr gesagt: Auf ein Glas Wein kommt bei dir ein Löffel voll
Tränen!« Er lachte. »Genau wie ihre Mutter. Ach, wenn die noch hier sein könnte! Und den fünfzehnten
Jahrestag erleben!« Er küsste Nazli auf die Wangen. Als er Ömers Blick
begegnete, verfinsterte sich seine Miene.
    Ömer versuchte den vorwurfsvollen
Blicken zu entkommen, aber vergebens. Er fühlte sich schlecht und schuldig, und
um sich nicht selber zu verachten, bemühte er sich, an etwas anderes zu denken
und das Vorgefallene als möglichst natürlich hinzunehmen.
    Muhtar küsste seine Tochter noch
einmal auf die Wangen und sagte dann lächelnd: »Heute ist ein Feiertag, da muss
man doch fröhlich sein!« Als er sah, wie Nazlis Miene sich aufheiterte, fragte
er sie erfreut: »Jetzt mal ehrlich, wie findest du mich?« Da klingelte es. »Na
endlich! Unser Jungreformer! Was der wohl sagt, wenn er mich so sieht? Na, dass
die Altreformer noch ganz schön auf Draht sind, wird er sagen!«

43
  DER STAAT
    Refık tauschte ein paar Worte mit dem
Dienstmädchen und musste dabei wie jedesmal an Nişantaşı denken,
an Emine, seine Mutter, an Perihan. Auf der Treppe hörte er von oben Gelächter.
»Denen werde ich die Stimmung schon verhageln!« Bei jedem Besuch in dem Haus
empfand er sich als Spielverderber. Als Muhtar Parlamentskollegen zu einem
Essen geladen hatte, damit Refık sein Projekt vorstellen konnte, hatten
die Männer ihm zwar brav zugehört und lobende Worte geäußert, sich dann aber
rasch dem zugewandt, was

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