Cevdet und seine Soehne
in Sichtweite kam, drückte er dem Fahrer Geld in die Hand
und sagte: »Wir steigen hier aus und gehen zu Fuß weiter!« Er trieb die anderen
zur Eile an und ging mit ausholenden Schritten voran. Am Eingang zur
Ehrentribüne trafen sie einen anderen Abgeordneten mit seiner Familie. Dann
grüßte Muhtar einen hochrangigen Militär. Als er merkte, dass die Feier mit der
üblichen Verspätung beginnen würde, beruhigte er sich. Als würde er jetzt erst
gewahr, was er da angezogen hatte, sah er an sich herunter, rückte seinen Frack
zurecht, und als Nazli an ihrem Kleid herumzupfte, fragte er sie, ob der Fleck
auf seiner Hose noch zu sehen sei. Dann lächelte er Refık an, wieder auf
diese augenzwinkernde Art, als wollte er sagen: »Tja, so bin ich eben, siehst
du?«
Refık dachte: »Wenn wir von der
Feier zurück sind, sage ich ihm …«, und er sah sich aufmerksam um, aber wie
schon bei seinem Vormittagsspaziergang wurden nicht die gewünschten Gefühle in
ihm wach. Vielmehr empfand er sich wieder albern und erbärmlich, und in diese
Empfindung bezog er alles ein, was er um sich herum sah, so dass er regelrecht
erschrak. Er riss sich am Riemen und bemühte sich, seine Umgebung nicht mit
Verachtung zu behandeln, sondern die Menschen ringsum als wertvolle,
intelligente Wesen anzusehen. So trabte er hinter Ömer und Nazli her, und hin
und wieder fiel ihm eine Antwort ein, die er Muhtar verpassen würde. Gemeinsam
gingen sie eine Treppe hinauf und betraten dann den Salon vor der für
Abgeordnete, Minister, Diplomaten und hohe Beamte und Militärs reservierten
Tribüne.
In einer Ecke des Salons wurden heiße
Getränke ausgegeben, und an kleinen Tischen davor saßen Leute bei Tee und
Kaffee, doch die meisten Menschen standen. Fast alle der in kleinen Grüppchen
herumwandelnden Männer trugen so wie Muhtar einen Frack und ein Dauerlächeln.
Man plauderte und grüßte und nickte einander zu, man blieb stehen, um seine
Familie vorzustellen, dann zog man weiter, musterte andere Familien, stets
bereit zum Gruß, in allgemeiner Erwartungshaltung an das Stimmengewirr im Salon
hingegeben. Als Muhtar erfuhr, dass es bis zum Beginn der Feier sogar noch eine
ganze Weile dauern würde, verkündete er sogleich, dann werde man eben noch Tee
trinken. Er ging auf den Getränkestand zu, lächelte dabei mehreren Menschen zu
und zog vor einem Mann in tiefer Verbeugung seinen Zylinder. Als er mit den
Teetassen zurückkam, sah er in einer Ecke einen Vater ganz unbeteiligt mit
seiner Tochter zusammenstehen und sagte zu Nazli: »Schau mal, das ist der
französische Botschafter mit seiner Tochter! Bei denen ist gerade niemand.
Gehen wir hin, dann kannst du mit ihnen reden!«
»Aber Papa! Was soll ich denn
sagen?«
»Früher hast du doch so gerne mit
Ausländern geredet!« sagte Muhtar und flüsterte dann einem etwa gleichaltrigen
Mann, der an ihm vorbeikam, lachend etwas ins
Ohr. Danach errötete er, als sei sein Lachen sehr unschicklich gewesen.
»Ah, Piraye, du bist auch da!« rief
da Nazli aus und umarmte ein Mädchen, das gleichfalls einen Entzückensschrei
ausgestoßen hatte. Sie redete mit dem Mädchen, zeigte dabei auf ihren Ring und
sah lächelnd zu Ömer hin.
Ömer nickte hinüber, um anzudeuten,
dass er begriffen hatte. Während er Nazli mit dem gleichen mürrischen Blick
bedachte, den er schon seit dem Vormittag zur Schau trug, lächelte er
Nazlıs Freundin unwillkürlich zu. Dann gab er sich einen Ruck, trat an die
beiden heran, stellte sich vor und blieb dann leicht herumtänzelnd und mit
unnahbarer Miene dort stehen wie jemand, der nur allzugut weiß, dass er ein
willkommener Schwiegersohn ist.
Muhtar flüsterte Refık zu:
»Schau, da kommt der Justizminister! Soll ich dich vorstellen?« Der Minster
schritt starren Blickes an ihnen vorbei. »An den kommt man ja gar nicht heran,
so eingebildet ist der!«
Auch Refık sah sich in der
Menge auf der Suche nach einem bekannten Gesicht um. Insbesondere beschäftigte
ihn schon seit dem Morgen der Gedanke, er könne vielleicht Süleyman Ayçelik
begegnen. Er war sich hundertprozentig sicher, dass der Autor aus seinem Urlaub
zurückgekehrt war, um die Feiern zum fünfzehnten Jahrestag nicht zu versäumen.
Einmal hatte er auch schon geglaubt, den Mann, den er nur von Fotos her kannte,
vor sich zu haben, doch kam er dann zu dem Schluss, er müsse sich geirrt haben.
Während er noch überlegte, woher ihm das Gesicht aber doch bekannt vorkam,
lächelte der andere ihn plötzlich an. Und
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